Frankreich: Macron winkt Erdrutsch-Sieg im Parlament
Die Szenen haben sich in der Öffentlichkeit eingebrannt, auch wenn ihre kraftmeierische Symbolik lächerlich ist: beim Nato-Gipfel Ende Mai sah man Emmanuel Macron mit seinen, vom Klavierspielen und Hobby-Boxen gestählten Fingern die Pranke von Donald Trump gleich zweimal durchrütteln. US-Medien sprachen von einer „Niederlage“ des brachialen Handschüttlers Trump und zollten der „Alpha-Männchen-Geste“ von Macron Bewunderung.
Der französische Präsident bestätigte allen Ernstes: „Das war kein Zufall, sondern ein Augenblick der Wahrheit.“ Er würde Trump, Wladimir Putin und Recep Erdogan „nichts, auch keine kleinen Symbole, durchgehen lassen. So verschafft man sich Respekt“. Hernach erfuhr man, dass Macron sich Videos über Trumps Macho-Gestik angeschaut hatte, um für das franko-amerikanische Fingerhackeln fitt zu sein.
Selbstwertgefühl der Franzosen
Das ist zwar eine medial aufgebauschte Lappalie, aber sie gehört wohl auch zu jener Gesamtstimmung, die bei den Parlamentswahlen einen Erdrutsch-Sieg der Macron-Partei „La République en marche“ (Die Republik auf dem Vormarsch – LRM) erwarten lässt. So hat der der 39 Jahre junge Macron mit seinen tadellosen Allüren und energischen Auftritten auf dem internationalen Parkett das Selbstwertgefühl vieler Franzosen vorläufig gehoben. In krassem Gegensatz zu seinem Vorgänger, Francois Hollande, der zumindest vordergründig viel zu gemütlich wirkte und mit seinen schlecht sitzenden Anzügen und oft wegstehenden Hemdkragen eine vergleichsweise schlechte Figur machte.
Das reicht natürlich nicht, um zu erklären, weshalb laut Umfragen im ersten Wahlgang heute, Sonntag, die völlig neue Partei des Präsidenten auf Anhieb mit rund 30 Prozent in Führung gehen könnte – deutlich vor den bürgerlichen „Les Republicains“ (rund 20 Prozent laut Umfragen), dem „Front National“ von Marine Le Pen (erwartete etwa 18 Prozent), der Linksaußen-Bewegung „La France insoumise“ (Unbeugsames Frankreich) von Jean-Luc Melenchon (voraussichtlich etwa 11 Prozent) und den Sozialisten, die, immerzu gemäß den Umfragen, mit rund 8 Prozent das Schlusslicht bilden könnten.
"Einparteien-Herrschaft"?
Für den zweiten Wahlgang am nächsten Sonntag zeichnet sich für die LRM gar eine historische Rekordmehrheit an Parlamentssitzen ab – mehr Mandate als einst für den Republik-Gründer Charles De Gaulle. Danach dürfte von den anderen Parteien in der Nationalversammlung (dem Unterhaus des französischen Parlaments) nicht mehr allzu viel übrig bleiben. Meinungsforscher erwägen sogar die Möglichkeit von rund 400 Abgeordneten für die LRM (von insgesamt 577 Parlamentssitzen). Macron-Gegner warnen gar vor „Einparteien-Herrschaft“, die die Opposition vom Parlament auf die Straße verlagern würde.
Dieser erwartete Kanter-Sieg könnte freilich durch eine ebenfalls rekordmäßige Enthaltung (im französischen und europäischen Vergleich) überschattet werden: Umfragen erbrachten, dass 40 bis 48 Prozent der Wähler den Urnen fernblieben wollen.
Ähnlichkeiten mit De Gaulle
Trotzdem erinnert Macrons Erfolgsritt an den einstigen Durchbruch von De Gaulle. Dieser löste mit seiner – auf ihn persönlich zugeschnittenen und post-parteilichen – Bewegung eine verbrauchte und handlungsunfähige Parteienlandschaft ab. Und auch Macron erscheint als eine Art Lichtgestalt an der Spitze einer soeben erst gegründeten, überparteilichen Bewegung, die von einer Welle des Überdrusses gegenüber den herkömmlichen Politikern und Traditionsparteien getragen wird.
Das Wahl-System in zwei Durchgängen, das relative Mehrheitstrends in absolute Mehrheiten verwandelt und ebenfalls De Gaulle zu verdanken ist, wird gleichzeitig dazu beitragen, dass auch die Links- und Rechtsaußenkräfte (also der rechte „Front National“ und die linke „La France Insoumise“) nur in wenigen Wahlkreise ein Mandat erringen dürften. Diese Parteien werden daher weit unter ihren tatsächlichen Wahlergebnissen im Parlament vertreten sein.
Die Anziehungskraft der Bewegung von Macron kommt auch daher, dass die LRM in den vergangenen Monaten in den Reihen der Traditionsparteien, also bei den Sozialisten und den bürgerlichen Republikanern, eine Reihe energischer Persönlichkeiten erbeuten konnte. Als Macron nach seinem Sieg bei den Präsidentenwahlen eine neue Regierung ernannte, berief er doch glatt einen Republikaner, Edouard Philippe, zum Premierminister. Weshalb es bürgerlichen Wählern schwer fallen dürfte, nicht gleich für Macrons Partei zu stimmen. Die eigentliche bürgerliche Traditionspartei, also die Republikaner, fürchten daher schon im ersten Wahlgang einen gewaltigen Aderlass zugunsten der LRM von Macron.
Erneuerung des Politpersonals
Gleichzeitig signalisierte Macron seinen Willen zur Erneuerung des politischen Personals: ein Drittel der LRM-Kandidaten sind Leute, die aus der Zivilgesellschaft kommen und nie zuvor politische Ämter ausgeübt haben. Darunter befindet sich erstmals auch eine bedeutende Zahl von Kandidaten, die in der Privatwirtschaft tätig sind. Knapp über die Hälfte der Bewerber der Macron-Partei sind Frauen.
Das geläufigste Argument, das die Aktivisten anderer Parteien im Wahlkampf von der Bevölkerung zu hören bekamen, lautete: „Man muss jetzt Macron die Chance geben, seine neue Politik auch umzusetzen“. Weil die pragmatischen Kräfte der Traditionsparteien dagegen wenig einwenden können, präsentieren sich etliche ihrer Kandidaten, oft unter irreführenden Bezeichnungen, als Macron nahe-stehend in der Hoffnung auf seiner Welle ins Parlament mit zu schwimmen.
Verstärkt wird diese Verwirrung dadurch, dass die LRM in einigen Wahlkreisen auf eigene Kandidaten verzichtete, um bürgerliche oder SP-Abgeordnete zu begünstigen, die sich Macron gegenüber besonders offen gezeigt hatten – ein geschickter Schachzug, den sich nur eine extrem siegessichere Bewegung leisten kann.
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