Frankreich: Jugendproteste bedrohen SP-Regierung

Präsident Hollande und Premiers Valls spüren kräftigen Gegenwind.
Studenten und Gewerkschaften gehen gegen Premier Valls auf die Straße.

Frankreich wird am Donnerstag wieder einmal könnte man sagen, ein landesweiten Protest- und Streiktag erleben. Aber diesmal steht das wohl wichtigste Gesetzesprojekt auf dem Spiel, mit dem der sozialistische Staatschef Francois Hollande seine Amtszeit nachhaltig prägen möchte: die Lockerung der Arbeitszeitbestimmungen und des Kündigungsschutzes bei gleichzeitigen neuen Begleitmaßnahmen für junge Arbeitssuchende.

In der Öffentlichkeit ist meistens vom Gesetz „El Khomri“ die Rede, weil die erst kürzlich ernannte, junge Arbeitsministerin Myriam El Khomri, Tochter eines marokkanischen Einwanderers, die Präsentation schwungvoll geschultert hat. Aber federführend waren Premierminister Manuel Valls und Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, die beiden Bannerträger der so genannten „sozial-liberalen“ Ausrichtung der sozialistischen Staatsführung. Valls hat sogar seinen weiteren Verbleib an der Regierungsspitze mit der Durchsetzung dieses Gesetzes verknüpft.

Blockierte Schulen und Zusammenstöße mit der Polizei

Gegen diese sozial-liberale und Unternehmer-freundliche Ausrichtung sträubte sich schon länger der linke Flügel der Sozialisten (rund ein Drittel der SP-Abgeordneten), die meisten Grünen und zwei der drei großen Gewerkschaftsbünde. Ihre Ablehnung blieb aber bisher eher symbolisch. Jetzt ist durch das massive Eingreifen von Schüler- und Studentenorganisationen eine ziemlich heftige Jugendbewegung in Gang gekommen. Schulen und Unis wurden besetzt und blockiert, vereinzelt kam es bei vorhergehenden Protesten schon zu Zusammenstößen mit der Polizei. Vor der Ausbreitung so einer Bewegung fürchten sich Hollande und die Regierung, weil ausufernde Jugendproteste schon mehrfach Gesetze in Frankreich zu Fall gebracht hatten.Dabei hofft die Regierung durch diese Reform, die Jobkrise und die prekären Anstellungsverhältnisse, unter denen gerade Frankreichs Jugend leidet, zu überwinden. Bei den 18 bis 24 Jährigen (die nicht mehr in Ausbildung stehen) beträgt die Arbeitslosenrate fast 26 Prozent. Diejenigen die jobben, müssen sich vielfach mit atypischen Kurzzeit-Anstellungen begnügen, die das Mieten einer Wohnung oder eine Familiengründung oft verunmöglichen.

35-Stundenwoche aufweichen

Das neue Gesetz soll den Arbeitgebern, die Sorge nehmen, sie würden sich durch Neu-Einstellungen und Gewährung unbefristeter Arbeitsverträge in ein allzu riskantes und unübersichtliches Geflecht von arbeitsrechtlichen Auflagen begeben. Im Fall von Durststrecken des jeweiligen Unternehmens aber auch bei neuen Anstrengungen im Wettbewerb sollen innerbetriebliche Vereinbarungen über zeitlich begrenzte Gehaltsabstriche und flexiblere Arbeitszeiten erleichtert werden. Diese innerbetrieblichen Vereinbarungen hätten gegenüber Kollektivvertrags-Vereinbarungen und sogar arbeitsrechtlichen Vorschriften Vorrang. Die in Frankreich geltende 35-Stundenwoche als Berechnungsgrundlage bleibt zwar erhalten, wird aber durch eine Verringerung des Überstundenzuschlags aufgeweicht.

In einigen Punkten hat die Regierung allerdings nach Verhandlungen mit moderaten Gewerkschaften und Jugendorganisationen den ursprünglichen Gesetzesentwurf zugunsten der Arbeitnehmerseite entschärft: so sollten ursprünglich die Entschädigungszahlungen, zu denen Unternehmer von Arbeitsgerichten im Fall von „willkürlichen Kündigungen“ verurteilt werden können, einer strikten Obergrenze unterliegen. Diese Obergrenze gilt nun nicht mehr im vorliegenden Gesetzesentwurf, weshalb sich jetzt wiederum die Unternehmerverbände verärgert zeigen.

Ungeachtet dieser Zugeständnisse an die Gewerkschaften wird aber das neue Gesetz im Wesentlichen die gerichtliche Anfechtung von Entlassungen schwieriger machen und damit Entlassungen einfacher gestalten. Firmen können sich bei Personalabbau auf Einbußen ihrer Betriebe allein in Frankreich berufen. Zuvor wurde der internationale Gesamtzustand eines Unternehmens in Betracht gezogen.

Gerade letzteres sorgt bei den Kritikern für Empörung, weil dadurch florierenden Multis erlaubt werde, ihre Niederlassungen in Frankreich durch entsprechende Finanzmanöver als unrentabel darzustellen. Die Regierung will hingegen den Konzernen signalisieren, dass sie in Frankreich ab sofort über mehr Handlungsspielraum verfügen werden.

Bevölkerungsmehrheit lehnt Reform ab

Aber die Bevölkerung vermag zurzeit diesen Vertrauensvorschuss gegenüber der Unternehmerseite nicht aufzubringen: laut Umfrage des Massenblatts „Le Parisien“ lehnen

71 Prozent das neue Arbeitsgesetz ab, bei den 18 bis 34 Jährigen sind es sogar 78 Prozent. „Die Franzosen können sich kaum vorstellen, dass die Lockerung des Kündigungsschutz letzten Endes mehr Arbeitsplätze schaffen könnte“, analysiert der Meinungsforscher Gael Sliman: „Die jungen Leute, die in Pseudo-Praktika und Probe-Perioden ausgenützt werden, halten die Arbeitswelt für zutiefst ungerecht.“

Diese Einstellung ist aber nicht völlig festgefahren: bei Umfragen schneidet ausgerechnet Wirtschaftsminister Macron, der die Liberalisierung der Arbeitsrechts noch weiter treiben möchte, als populärster Politiker ab.

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