Hollande ernennt "rechten" Sozialisten zum Premier
Francois Hollande richtete sich bei seinem TV-Auftritt Montagabend ohne Umschweife an die Wähler, die Tags zuvor seiner SP bei den Gemeindewahlen eine historische Niederlage bereitet hatten: "Die Botschaft ist klar und ich nehme sie persönlich entgegen: zu wenig Veränderungen, zu viel Arbeitslosigkeit, zu viel Steuern."
Nunmehr, so Hollande, sei eine neue Etappe nötig: an die Stelle des bisherigen Premiers Jean-Marc Ayrault, den Hollande für seine Reformen würdigte, tritt Manuel Valls, bisher Innenminister. Valls habe den Auftrag, an der Spitze einer "personell zurecht gestockten Kampfregierung" Frankreichs Wirtschaft, die noch immer am Versagen seiner bürgerlichen Vorgänger leiden würde, "wiederaufzurichten". Dabei hämmerte der Staatschef abermals sein sozialliberales Credo mit Blickrichtung auf den linken SP-Flügel, der die von Hollande angekündigten Abgabensenkungen für Unternehmer kritisiert: "Die Arbeitslosigkeit ist die erste Ungerechtigkeit. Es sind die Unternehmen, die die Arbeitsplätze schaffen."
Pakt der Sozialpartner
Ein Pakt der Sozialpartner werde dafür sorgen, dass sich die Senkung der Unternehmersteuern in mehr Jobs niederschlage. Für die gesamte Bevölkerung stellte Hollande "Steuersenkungen bis 2017" in Aussicht, für die Arbeitnehmer werde es aber eine rasche Senkung der Sozialabgaben geben, versicherte Hollande. Mit Blickrichtung auf die EU-Vorgaben erklärte Hollande, er werde die budgetären Sparmaßnahmen vorantreiben, diese dürften aber nicht "das Wirtschaftswachstum schwächen."
In Hinblick auf die Bekräftigung dieses sozial vorerst eher harten, wirtschaftsfreundlichen Reformkurses wirkt die Ernennung von Valls logisch. Valls, den man in der Öffentlichkeit kaum je lächeln sieht und der fast immer streng bis verbissen wirkt, ist das genaue Gegenteil des bisherigen Premiers Ayrault, der meistens gelassen bis farblos wirkte.
Ähnlichkeit mit Matteo Renzi
Valls ist eine Art Sonderfall in der französischen SP, nicht aber unter den Persönlichkeiten, die in großen europäischen Linksparteien zuletzt hochkamen: so ähnelt er in Stil und Kurs dem italienischen Premier Matteo Renzi oder dem vormaligen britischen Premier Tony Blair.
Der 52 jährige gebürtige Spanier, der erst 1982 die französische Staatsbürgerschaft annahm, ist ein deklarierter Repräsentant jener Strömung in der französischen SP, die sich als "moderne Linke" versteht, und die von den traditionelleren Kräften als "rechter" Flügel gerade noch in der Partei akzeptiert wird. In ihrer Praxis sind die französischen Sozialisten kaum von den sozialdemokratischen Parteien Europas zu unterscheiden, aber Valls fiel als eine Art Tabubrecher auf, als er beispielsweise den demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton und die "New Labour"-Politik, also den Kurs von Tony Blair, lobte.
Das führte dazu, dass der vorhergehende bürgerliche Präsident Nicolas Sarkozy nach dessen Amtsantritt 2007 dem SP-Politiker Valls einen Ministerposten vorschlug. Valls lehnte ab, aber in einigen Belangen teilte er Sarkozys Positionen: so kritisierte er die von einer vormaligen Linksregierung eingeführte 35-Stundenwoche und warnte vor einer "Wirtschaft der Sozialhilfen-Empfänger", die zu Lasten der "individuellen Verantwortung" ginge.
2011 bewarb er sich bei den innerparteilichen Vorwahlen für die Ernennung des SP-Präsidentschaftskandidaten mit einem klaren Bekenntnis zum Defizit-Abbau in Frankreich gemäß den EU-Richtlinien. Er kam aber nur auf sechs Prozent. Daraufhin schloss er sich Hollande an und wurde der allgegenwärtige, schroff auftretende und gefürchtete Leiter seiner Kampagne für die Präsidentenwahlen 2012.
In den Fußstapfen von Sarkozy
Nachdem er von Hollande zum Innenminister ernannt worden war, profilierte sich Valls als harter Ordnungspolitiker, was ihn zu einem der populärsten Regierungsmitglieder machte. Ähnlich wie Sarkozy (der ebenfalls Innenminister gewesen war) eilte er bei Reibereien zwischen Polizei und Vororte-Jugend sofort herbei, um den Beamten den Rücken zu stärken, wobei er etwaige Kritik am Vorgehen der Polizei schroff zurechtwies. Für etliche Anhänger der SP und Teile der Öffentlichkeit überspannte er aber den Bogen, als er die Roma-Migranten aus Osteuropa als "nicht integrationsfähig" einstufte.
Die Frage ist nun, ob der forsche Durchsetzungswille von Valls genügen wird, die von vielen Franzosen empfundene Führungsschwäche an der Staatsspitze auszugleichen und die von Hollande anvisierten weiteren staatlichen Sparmaßnahmen durchzuziehen, ohne dass daran die SP und die Koalition mit den Grünen zerbricht.
Für die widerspenstigen Grünen, die Valls zutiefst misstrauen, hatte Hollande bei seiner TV-Ansprache ein Zuckerl parat: so betonte der Präsident die bevorstehende "Energiewende", nämlich weg von der überwiegenden Abhängigkeit Frankreichs gegenüber dem Erdöl und der Atomkraft. Ein Bereich, in dem sich bisher, seit Amtsantritt von Hollande, kaum etwas bewegt hatte.
Der überwältigende Sieg der Opposition
Unterdessen labt sich die bürgerliche Opposition noch an ihrem überwältigenden Sieg. Am Sonntag war es ihr gelungen, der regierenden Linken 139 Städte, die über 10.000 Einwohner zählen, abzujagen. Bei den vorhergehenden Gemeindewahlen 2008, unter einer bürgerlichen Regierung, als das Pendel in die andere Richtung ausschlug, konnte die damalige Linksopposition nur 80 Städte dazugewinnen.
62 Prozent der Städte werden jetzt von der UMP und ihren liberalen Verbündeten verwaltet. Die Linke bewahrte zwar die Großstädte Paris, Lyon, Lille und Straßburg, verlor aber einen beträchtlichen Teil ihrer Bastionen in den dazugehörigen Vorortegürteln. Gleichzeitig wurde die SP in Provinzstädten mittlerer Dimension abgestraft. Diese Kommunen leiden am meisten unter dem Industriesterben und dem Wegsparen von Ämtern.
Homo-Ehe
Vor zwei Jahren hatten in solchen Gemeinden satte Mehrheiten für den Sozialisten Hollande gestimmt. Aber die Arbeitslosigkeit wuchs weiter, die von der Linksregierung geförderten Jugendjobs konnten eine Welle neuer Betriebsschließungen nicht wettmachen. Dazu kamen drastische Steuererhöhungen auch für Arbeitnehmer und Pensionisten. In den städtischen Randvierteln wiederum paarte sich bei einem Teil der vormaligen Linkswähler aus muslimischen Familien die Enttäuschung über die anhaltende Jobkrise mit der Ablehnung der Homo-Ehe.
Es war also vornehmlich die Ablehnung von Hollande, die den Sieg der bürgerlichen Opposition beflügelte, auch wenn eine neue Generation dynamischer Lokalpolitiker auf Seiten der UMP eine Rolle spielte. Auf nationaler Ebene verfügt die UMP aber vorläufig über keine hervorragende Führungspersönlichkeit: Parteiboss Copé ist unpopulär und in Affären verstrickt, Sarkozy hat Probleme mit der Justiz und leidet an der dürftigen Bilanz seiner Präsidentschaft, sein Rivale und Ex-Premier Francois Fillon wirkt farblos.
Die "Front national" (FN) kennt solche Führungsprobleme nicht. Die Nationalpopulisten, die sich sogar hinter ihrer Vorsitzenden Marine Le Pen ein wenig verbergen – sie kandidierten bei der Kommunalwahl unter dem Namen "Marine-blaue Sammelbewegung" – sind diesbezüglich auch besser für die EU-Wahlen im Mai gerüstet. Ihre Erfolge bei den Gemeindewahlen bieten einen Startvorteil, auch wenn sich die Ergebnisse der FN im Gesamtverhältnis bescheiden ausmachen: so konnte sie zwar elf Bürgermeistersitze und in Marseille ein Bezirksrathaus gewinnen, aber in Frankreich wurde in 36.681 Kommunen gewählt.
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