Ex-Banker als sozialistischer Wirtschaftsminister
Selten noch hatte der Stehsatz von der „Ironie der Geschichte“ solche Gültigkeit, wie im Fall der soeben erneuerten französischen SP-Regierung. Francois Hollande hatte im Getümmel des Wahlkampfs 2012, der ihn ins Präsidentenamt führen sollte, „die Finanz“ als seinen „Feind“ bezeichnet. Gleichzeitig versprach er, Einkommens-Segmente von über einer Million Euro pro Jahr einer 75 prozentigen Steuer zu unterziehen. Einer seiner schon damals engsten Berater hatte diese, nicht nur für ihn, überraschende Ankündigung höhnisch kommentiert: „Dann wird Frankreich ein (kommunistisches) Kuba ohne der Sonne“.
Jesuitenzögling, Philosoph und Banker
Der Mann, der sich diesen lästerlichen Spruch damals leistete, ist jetzt Wirtschaftsminister und – neben Premier Manuel Valls – die Schlüsselfigur der Regierung: Emmanuel Macron, 36 Jahre jung, ein Jesuitenzögling, der schon mit 16 maturierte, mit 25 Philosophie an der Uni lehrte, mit 30 in der Direktion der Pariser Rothschild-Handelsbank saß (wo er für den Multi Nestle die Übernahme einer Filiale des US-Konzerns Pfizer bewerkstelligte) und sich mit 34 Jahren als Generalsekretär des französischen Präsidentenamts bei Hollande für eine besonders Unternehmerfreundliche Politik einsetzte.
Und ausgerechnet dieser Ex-Banker übernahm nun den Minister-Posten, den zuvor der linke Globalisierungs- und EU-Kritiker, Arnaud Montebourg, innegehabt hatte. Montebourg, ursprünglich von Beruf Anwalt und ein scharfzüngiger Tribun, hatte die Regierungskrise ausgelöst, indem er Premier Valls und Präsident Hollande unverblümt vorwarf, sich aus „Konformismus“ dem „Spardiktat“ von Angela Merkel und der EU-Kommission zu unterwerfen. „Ein Gewaltmarsch in den Defizitabbau ist ein ökonomischer Unsinn, der die Arbeitslosigkeit verschlimmert und die Europäer in die Arme von extremistischen Parteien treibt, die Europa zerstören wollen. Frankreich ist ein freies Land, das sich nicht den Obsessionen der deutschen Konservativen zu fügen hat“, erklärte Montebourg.
Diese Ansichten sind in Frankreich angesichts der anhaltenden Quasi-Stagnation der Wirtschaft und dem furchterregenden landesweiten Industriesterben tendenziell mehrheitsfähig. Die Nationalpopulistin Marine Le Pen errang mit ähnlich gelagerten Argumenten („Der Euro ist ein von Deutschland aufoktroyiertes Zwangskorsett um aus Frankreich ein zweites Griechenland zu machen“) bei den EU-Wahlen im Mai eine – relative – Stimmenmehrheit von 25 Prozent.
Bisher wehrte sich das Hollande-treue Regierungslager gegen diese Vorwürfe im Wesentlichen mit drei Argumenten: Frankreich müsse, auch unabhängig von den Wünschen der EU und Merkels, seine Verschuldung (93,6 Prozent des BIP) abbauen gerade um die Souveränität des Landes zu bewahren. Unter dieser Voraussetzung könne Paris in der EU eine zeitliche Streckung im Defizitabbau erwirken. Der Sparplan der Regierung (50 Milliarden Euro bis 2017) stelle zwar „eine noch nie dagewesene Anstrengung für Frankreich“ dar, würde aber trotzdem, im internationalen Vergleich, eher milde gegenüber dem öffentlichen Dienst und der Masse der Arbeitnehmer ausfallen.
Ende für mehrdeutige Taktik von Hollande
Diese vielschichtige bis mehrdeutige Taktik von Hollande, bei der ein Montebourg linken Flankenschutz lieferte und ein Macron im Hinterzimmer des Präsidenten die wirtschaftspolitische Linie vorgab, zerschellte zuletzt. Und zwar am Ausbleiben jeglicher Aufhellung am Arbeitsmarkt (die Arbeitslosenrate beträgt über zehn Prozent), einem weitgehenden Investitionsstopp der Unternehmer, dem Scheitern von Sozialpartner-Konferenzen und einer demoralisierenden steuerlichen Mehrbelastung der Mittelschichten.
Jetzt ist mit dem Führungsduo Valls-Macron ein Zweigespann sozialliberaler Draufgänger am Werk, das den Vergleich mit den rechts-sozialdemokratischen Staatsmännern Tony Blair oder Gerhard Schröder nicht zu scheuen braucht. Als erstes sollen sämtliche bisher gesetzlich geschützten Zünfte wie Apotheker oder Taxi-Fahrer aufgemischt werden. Dann kommt das bisherige, ziemlich umfangreiche Arbeitsrecht in den Reißwolf. Steuererleichterungen für Arbeitgeber im Gesamtumfang von 40 Milliarden Euro, die den Unternehmerverbänden bereits zugesichert wurden, sollen schneller fließen. Ein Gesetz für mehr Mieterschutz, das von einer vormaligen grünen Wohnbau-Ministerin erarbeitet und bereits vom Parlament ratifiziert wurde, soll aus Rücksicht auf Wohnbau-Investoren schlicht nicht zur Anwendung kommen. Ob Frankreichs SP-Abgeordnetenmehrheit eine solche Wende überlebt, könnte sich schon bei den nächsten Parlamentsabstimmungen erweisen.
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