Kippa zu tragen, wird immer gefährlicher

Angst vor Gewalt: 8000 Juden emigrierten im vergangenen Jahr nach Israel (Bild: Ankunft in Tel Aviv)
In Marseille häufen sich Messerangriffe von radikalen Islamisten auf Juden.

Gewaltakte gegen Juden beschäftigen wieder die französische Öffentlichkeit. Seit über einem Jahrzehnt verdüstern Übergriffe seitens radikalisierter Jugendlicher aus muslimischen Familien oder extremistischer Islam-Konvertiten den Alltag jüdischer Gläubiger. In einigen Fällen mutierten die Nahbereichspeiniger der Juden zu dschihadistischen Attentätern.

Zuletzt war der Eindruck entstanden, die besondere Bedrohung der Juden sei zurückgegangen, weil sich die Angriffsprojekte der Dschihadisten auf andere Ziele ausdehnten: Kirchen, Fabriken, Militärbasen, und, bei den Gemetzeln im November, das Fußballstadion und die Kneipen der Multikulti-Viertel von Paris.

Angriff mit Machete

Jetzt ist aber wieder klar geworden, dass die Juden Frankreichs – rund eine halbe Million Menschen mit mehrheitlich nordafrikanischen Familienwurzeln – an vorderster Stelle in der Gefährdungsskala stehen. Gestern wurde in Marseille ein jüdischer Lehrer, der eine "Kippa" trug, von einem Jugendlichen mit einer Machete angegriffen. Wie durch ein Wunder glitt sie an der Kleidung des Lehrers ab. Der Angreifer wurde von Passanten in die Flucht geschlagen. "Ich sah mich schon geköpft", erzählte der nur leicht verletzte Lehrer.

Der 16-jährige Täter, der aus einer vor fünf Jahren eingewanderten, bisher völlig unauffälligen türkischen Familie stammt, erklärte nach seiner Festnahme, er habe "im Namen Allahs" und in Übereinstimmung mit dem "Islamischen Staat" gehandelt. Er bedauere, dass sein Opfer nicht gestorben sei. Das nächste Mal werde er "Polizisten erschießen". Über die französischen Muslime sagte er, sie hätten durch ihre Passivität "den Islam entehrt".

Im Anschluss an diesen Angriff enthüllte die Staatsanwaltschaft, dass in den letzten Wochen in Marseille ein "rasanter Anstieg" der Fälle von Aufhetzung, rassistischer Todesdrohungen und Terror-Verherrlichung verzeichnet wurde. Es wurden zwar auch gegen Muslime gerichtete Taten registriert, darunter eine Attacke auf eine Frau, die ein islamisches Kopftuch trug: Ihr wurden mit einem Cutter Stichwunden zugefügt. Aber der "überwiegende Teil" der Vorfälle richtete sich gegen Juden.

Schon am 18. November war ein jüdischer Lehrer mit einem Messer angegriffen worden. Wiederum in Marseille waren im Oktober vier Personen vor einer Synagoge bei einem Messeranschlag verletzt worden.

"Nicht klein beigeben"

Ein jüdischer Würdenträger in Marseille empfahl nun den Gläubigen, "die Kippa nicht mehr auf der Straße zu tragen, bis wieder bessere Tage kommen". Frankreichs Oberrabbiner, Haim Korsia, widersprach: "Wir sollten nicht klein beigeben." Dafür rief er alle Fans des Fußballklubs "Olympique Marseille" auf, aus Solidarität beim nächsten Match Kopfbedeckungen zu tragen. Tatsächlich häufen sich angesichts dieser Bedrohung Angebote von Nicht-Juden, die Kippa zu tragen.

In der französischen Mehrheitsgesellschaft war der Antisemitismus noch nie so gering wie heute. Die Politiker stehen den Juden entschlossen zur Seite. Die Behörden ahnden anti-jüdische Drohungen aufs Schärfste. Ein Gymnasiast wurde zu einer zehnmonatigen Haftstrafe verurteilt, weil er bei einem Diskussionstag an seiner Schule nach den Anschlägen von Paris erklärt hatte, man sollte "die Juden, die hinter diesen Attentaten stecken, über den Haufen schießen".

Kommentare