Das Fiasko des Monsieur Hollande
So etwas habe ich noch nie erlebt, die Franzosen werden immer ärmer", behauptet Charles, Inhaber eines Kleidergeschäfts, das verbilligte Markenwaren im Pariser Mittelstands-Viertel Gambetta anbietet. "Damen aus der Nachbarschaft, von denen ich bisher annahm, dass sie doch leicht über die Runden kommen, flehen mich an, damit ich für sie ein Kleid, das nur zehn Euro kostet, bis zum nächsten Monat beiseite lege." Aber ist diese triste Darstellung repräsentativ?
Keine fünf Minuten vom Geschäft von Charles entfernt ist ein trendiges Restaurant wie eh und je gerammelt voll. Aber auch dort, unter den Gästen, die für 30 Euro pro Person brunchen, ist Wehklagen, wenn auch auf hohem Niveau, angesagt: "Sogar das Wenige, worauf wir noch stolz sein können in Frankreich, unsere hohe Geburtenrate, wird ruiniert", meint Richard, ein Werbedesigner, der mit seiner Frau und den drei Kleinkindern die Novembersonne auf der Terrasse vor dem Restaurant genießt: "Mit der Senkung der Kinderbeihilfe wird es für unsere Kinder-Betreuerin knapp."
Tabubruch
Tatsächlich wagte sich die sozialistische Regierung zuletzt an ein Tabu. Die bisherige einheitliche Kinderbeihilfe wird nunmehr sozial gestaffelt: Ab einem Familieneinkommen von monatlich 6000 Euro wird sie halbiert. Die Maßnahme sorgte nicht nur für einen Aufschrei der Empörung bei konservativen Familien-Verbänden, auch der linke Gewerkschaftsbund CGT verurteilte den "Anschlag auf das Gleichheitsprinzip der Sozialversicherten" in Frankreich.
So ergeht es der Staatsführung um Präsident François Hollande bei so ziemlich allen Schritten, die sie setzt. In der Halbzeit seines Mandats kann sich Hollande auf niemanden mehr stützen. Mit einem verworrenen wirtschaftspolitischen Kurs und widersprüchlichen Ankündigungen hat Hollande seit Amtsantritt im Mai 2012 der Reihe nach einen überwiegenden Teil der Unternehmer und Besserverdiener, anschließend die Mehrheit der Arbeitnehmer und traditionellen Linkswähler und schließlich auch die allermeisten Kommentatoren, inklusive der ihm ursprünglich wohlgesonnenen linksliberalen Medien, gegen sich aufgebracht.
Die anfänglichen Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Unternehmer haben die Abwanderung von Firmengründern und Investoren beflügelt. Eine spätere steuerpolitische Umkehr zugunsten der Wirtschaftstreibenden reichte bisher nicht, um die Flautenstimmung im Unternehmermilieu zu überwinden, vergrämte aber wiederum die Arbeitnehmerverbände.
Schwache Wirtschaft
"Fehler", gestand Hollande bei einem kürzlichen TV-Auftritt, bei dem er von einer verzweifelten Jobsucherin und einer erbosten Firmenchefin in die Mangel genommen wurde. Er habe irrtümlich auf eine Senkung der Arbeitslosenrate und einen Ansprung des Wirtschaftswachstums gehofft. Tatsächlich aber hat die Zahl der Arbeitslosen seit seinem Amtsantritt um eine halbe Million zugenommen. Das diesjährige Wirtschaftswachstum grundelt bei 0,4 Prozent.
Etliche der jetzigen Schwächen Frankreichs reichen weit zurück: Frankreichs Außenhandelsbilanz wies 1995 das letzte Mal einen Überschuss aus, die Industrieproduktion schrumpfte seit 2002 um 10 Prozent. Die diversen Abgaben verschlingen 44,7 Prozent des BIP (nach Dänemark der höchste Stand unter den entwickelten Staaten).
Trotzdem wächst die Staatsschuld unaufhaltsam, Ende 2015 könnte sie 100 Prozent des BIP ausmachen. Mit einem Budgetdefizit von 4,3 Prozent des BIP wird Frankreich die der EU für 2015 zugesagten drei Prozent deutlich verfehlen. Einer Sanktion aus Brüssel entging Paris nur durch eine Nachbesserung seiner Sparpläne. Diese belaufen sich immerhin auf 50 Milliarden Euro bis 2017.
Streit um Sparkurs
Am Sparen scheiden sich auch die Geister in Paris, quer durch die politischen Lager. Ein Teil der französischen Politiker hält diese Sparanstrengung für eine unsinnige Konzession an den "Brüssler und Berliner Zahlenfetischismus" und sieht darin die eigentliche Ursache für die Stagnation. Andere urgieren entschlossenere Sparreformen des aufgeblähten Verwaltungsapparats, eine radikale Vereinfachung der Anstellungsregeln auf dem Arbeitsmarkt.
Hollande balanciert zwischen diesen Positionen, sein Premier Manuel Valls setzt auf rasche Liberalisierung. Dieses Gezerre an der Staatsspitze kann auch nicht mehr viel anrichten, das Vertrauenspotenzial der Bevölkerung ist längst aufgebraucht.
Kommentare