Schottisches "No" lässt EU aufatmen

Getrübte Freude: Nigel Farage (UK Independence Party) war für „No“ der Schotten – doch damit sinken die Chancen auf einen EU-Austritt
Brüssel hofft auf Dämpfer für Separatisten – und den Verbleib Großbritanniens in der Union.

So sehr sich die EU-Granden im Vorfeld aus der "innerstaatlichen britischen Angelegenheit" herausgehalten hatten, so sehr zeigten sie nach dem "Nein" der Schotten ihre Erleichterung über das Ergebnis: "Ich respektiere und begrüße die Wahl der Schotten", sagte Ratspräsident Herman Van Rompuy. Dieser Ausgang des Referendums sei "gut für das vereinte, offene und gestärkte Europa", verlautete Kommissionschef Jose Manuel Barroso am Freitag in Brüssel. Und Parlamentspräsident Martin Schulz äußerte die Hoffnung, Schottland könnte zu einer "vernünftigen" Selbstbestimmung "unter dem Dach des Vereinigten Königreichs" finden. Dies, so Schulz, könnte "ein Modell werden, das auch zur Befriedung in anderen Regionen beitragen kann".

Domino-Effekt

Diese europäische Perspektive schwang in den Reaktionen vieler EU-Politiker mit: Mit dem "Nein" vom Donnerstag erspart sich die EU nicht nur den Ärger, den ein unabhängig werdendes Schottland gebracht hatte. Viele hoffen, dass das Fortbestehen des Vereinigten Königreiches nicht nur die schottischen Separatismus-Bestrebungen begraben, sondern auch jene in anderen Ländern dämpfen wird.

Aus Brüsseler, gesamteuropäischer Sicht sind die Unabhängigkeitsbegehren von Schotten, Katalanen, Südtirolern, Flamen & Co. problematisch: "Jede neue Trennlinie, jede neue Grenze innerhalb Europas würde das gemeinsame Europa schwächen", sagt ÖVP-Mandatar Othmar Karas. Ein "Fleckerlteppich" kleinerer Staaten würde es noch schwieriger machen, die Union auf einem gemeinsamen Kurs zu halten.

Viele Fragen offen

Auch fürchtet man in Brüssel, dass zersplitternde Staaten sich reflexartig nach innen wenden und so sehr mit sich selbst beschäftigten könnten, dass die gemeinsame Arbeit am vereinten Europa darunter leidet.

Nicht zuletzt sind zentrale rechtliche Fragen ungeklärt, die sich bei einer "inneren Erweiterung", also dem Beitritt eines Landes, das sich von einem EU-Staat abgespalten hat, stellen.

Die offizielle Position der EU-Kommission lautet: Ein neuer, abgespaltener Staat müsste sich um einen EU-Beitritt bewerben – wie ein "normaler" Drittstaat. Demnach könnte ein Wieder-Eintritt Jahre dauern – vor allem, wenn ihn andere Regierungen blockieren, um ein Signal an "ihre" Separatisten zu schicken. Gleichzeitig kann niemand vernünftigerweise wollen, ein wohlhabendes Land – wie es ein unabhängiges Schottland wäre –, dessen Recht und Verwaltung noch dazu seit Jahrzehnten auf die EU abgestimmt sind, unnötig lange vor der Türe stehen zu lassen.

Die Folgen für "Brexit"

Dieser heikle Prozess bleibt der Union nun zumindest in Bezug auf Schottland erspart. Und noch eine positive Auswirkung hat das "Nein" aus Brüsseler Sicht: Die Schotten sind pro-europäischer eingestellt als der Rest des Vereinigten Königreiches. Sollte es also tatsächlich in den kommenden Jahren zum angekündigten Referendum über den Verbleib in der EU kommen, sind die Chancen für ein "Ja" zu Europa mit Schottland als Teil Großbritanniens deutlich besser als ohne.

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