"Quoten – oder wir können Schengen vergessen"
Das Foto des toten dreijährigen syrischen Buben an einem Strand in Bodrum ging um die Welt. Seine in Kanada lebende Tante reiste nun nach Brüssel, um am Montag einen Appell an die EU-Innenminister zu richten: Sie forderte die Politiker auf, „ihre Herzen zu öffnen“ und zu einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik zu kommen. „Wir wollen nicht, dass Menschen sterben.“
Sie traf auch Jean Asselborn, danach war er sehr ernst. Der ansonsten gesprächige luxemburgische Außen- und Migrationsminister warnte vor einem Scheitern des Krisentreffens der 28 Innenminister. „Wenn es keine Entscheidung für ein Quotensystem gibt, dann wird Chaos folgen und weitere EU-Staaten werden Grenzkontrollen einführen. Dann können wir Schengen vergessen.“
Auf dem Tisch lag der Juncker-Plan für eine solidarische Aufnahme von 120.000 Flüchtlingen aus besonders belasteten Staaten wie Griechenland, Italien und Ungarn. 40.000 Flüchtlinge wurden bereits vor dem Sommer zur Verteilung vorgeschlagen. Die Kommission will außerdem rund ein Dutzend Aufnahmezentren (Hotspots) an der EU-Peripherie errichten, die EU-Außengrenzen streng kontrollieren und Asylwerber in sogenannte sichere Drittstaaten rasch abschieben. Doch die von Juncker vorgeschlagene Quote wollten etliche Länder nicht akzeptieren. Da half auch kein Rundruf des Kommissionspräsidenten: Polen, die Slowakei, Ungarn, Tschechien und Lettland wollten sich partout nicht überzeugen lassen, in Riga brach wegen der Quote eine Regierungskrise aus, der Innenminister stornierte die Reise nach Brüssel.
Reihum raunten hochrangige Diplomaten, der Plan sei gescheitert. Nicht ganz, eine kosmetische Einigung gab es: 40.000 Schutzsuchende sollen bis Dezember nach einem Schlüssel auf die EU aufgeteilt werden. Mit diesem Ergebnis wird aber nur fortgeschrieben, was im Juli feststand. Damals einigten sich die EU-Staaten, 32.256 zu verteilen. Österreich beteiligt sich nicht bei der EU-internen Verteilung von 40.000. Die EU akzeptiert, dass Österreich Vorleistungen beim Resettlement von 1500 Flüchtlingen aus Syrien sowie 400 weiteren Schutzsuchenden.
Ankündigung
Es bleiben aber noch 120.000, die Juncker vorschlägt. Nach langem Ringen verkündete der deutsche Innenminister Thomas de Maizière, dass es über die Aufteilung dieser 120.000 Flüchtlinge eine „politische Einigung“ gäbe. Nach welcher Quote und bis wann diese Aufteilung erfolgen sollte, darüber konnten sich die Minister nicht einigen. Ein neuer Anlauf soll am 8. Oktober versucht werden.
Zur schlechten Stimmung in Brüssel trugen nicht nur die bockigen Quoten-Widersacher bei, sondern auch die von de Mazière am Sonntag verordnete Kontrolle der deutsch-österreichischen Grenze, um die zügellose Einreise von Asylwerbern zu stoppen. Die Notmaßnahme Berlins zog am Montag eine Kaskade von Kontrollen nach sich. Österreich, die Slowakei, Tschechien und die Benelux-Staaten verordneten ebenfalls Grenzkontrollen.
In der EU-Kommission brach Panik aus. Schengen, ein Grundpfeiler der EU, könnte wegbrechen. „Temporäre Maßnahmen“ seien in einer Krise durch Schengen gedeckt und können bis zu zwei Monate bleiben.
Für Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sind die Grenzkontrollen eine „europäische Antwort auf den Flüchtlingsansturm“. Indirekt machte sie Deutschland mitverantwortlich am Dilemma. Nachdem international bekannt wurde, dass Deutschland das Dublin-Verfahren für Syrer ausgesetzt habe, hätten sich „Tausende auf den Weg gemacht. Es war klar, dass das so nicht weitergehen kann.“
Mikl-Leitner ahnte schon zu Beginn, dass das Treffen kein „konkretes Ergebnis“ über die Quote bringen werde, höchstens eine politische Vereinbarung“. Am Ende des Treffens sagt sie, "das war der Beginn einer intensiven Debatte".
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