Die 60-jährige Spanierin sitzt auf einem orientalischen Sofa im Eingangssalon des leer stehenden Elternhauses. Um sie versammelt: die lebenslange Freundin Naya, der 32-jährige Nachbar Younes, der mit den Kindern der beiden aufwuchs, Cousins und Cousinen. Sie beaufsichtigen streng, wie nach und nach junge Männer eintreten und in den angrenzenden Räumen Badehosen, T-Shirts und Schuhe suchen. Anschließend dürfen sie in den Badezimmern auf zwei Stockwerken duschen und sich Essen holen, das die Frauen in einem riesigen Topf zubereitet haben.
Von Anfang an haben alle geholfen, sagt Sabah, die Muslime, die Christen, die Polizei. In Ceuta koexistieren fünf verschiedene Religionsgruppen. Sie feiern ihre Feiertage gemeinsam, und sie versorgen gemeinsam die Ankömmlinge, die nichts haben.
In improvisierten Holzhütten auf Brachflächen und an den steil zum Meer abfallenden Klippen leben diese nun, seit Wochen. Vor allem Minderjährige verstecken sich hier aus Angst, abgeschoben zu werden und zurück zu ihren Eltern zu müssen, die ihnen bereits den Segen gegeben haben, in Europa ihr Glück zu suchen.
Sabah versteht das nicht. „Ich will immer noch wissen, wo mein Sohn war und was er macht, und der ist 40 Jahre alt“, sagt sie. Sie trägt lange schwarze Kleidung, jede Bewegung ist elegant. Aber sie ist müde, denn die neuen Migranten, mit denen die Behörden nicht umzugehen wissen, sind eine weitere Belastung für sie und ihre Nachbarn, denen so langsam die Luft ausgeht. Denn Sabahs Haus ist nicht erst seit Mitte Mai als Anlaufstelle bekannt.
Marokko hat im März vergangenen Jahres die Grenze geschlossen, von einem Tag auf den anderen. Seit damals sitzen Marokkaner fest, die zum Arbeiten pendeln und seitdem nicht mehr nach Hause konnten. Viele von ihnen haben Familienangehörige durch Covid verloren, in ihrer Abwesenheit sind ihre Kinder verwaist und Häuser verloren gegangen. Aber wenigstens können sie in Ceuta ein wenig Geld verdienen, obwohl seit der Grenzschließung auch hier die Wirtschaft stillsteht.
Es sind die wohlhabenden Marokkaner, die normalerweise zum Einkaufen in die Exklave kommen, in das vierstöckige Zara-Geschäft oder zu Sabah, die Ware aus der Türkei importiert und daraus Geschenkpakete für Frischvermählte oder junge Mütter macht. Ihre 300 große Lagerhalle in Marokko musste sie im vergangenen Jahr aufgeben. Viele Ceutís haben Immobilien im Nachbarland und auch Familie, von der sie auf unbestimmte Zeit abgeschnitten sind. Wie auf einer Insel sitzen sie fest, mit den Marokkanern, die zurückwollen, und denen, die weiterwollen.
"Was soll aus ihnen werden?"
Vergangene Woche haben europäische Grenzschutzbeamte fünf Minderjährige entdeckt, die sich in einem Lkw versteckt hatten, der mit der Fähre aufs spanische Festland gebracht werden sollte. Kinder, die zwischen den Ländern festhängen und deren rechtliche Lage komplex ist. Die NGO Save the Children hat in Interviews herausgefunden, dass ein Viertel der Minderjährigen Opfer von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch war. Nach europäischem Recht können minderjährige Migranten nur zurückgeführt werden, wenn sowohl sie als auch die Eltern das wünschen. Europa darf Minderjährige nur den gesetzlichen Vertretern direkt und nicht den Behörden übergeben. Marokko macht bei diesem Prozedere nicht mit.
„Und was soll dann aus ihnen werden“, ruft Sabah in die Runde. „Man lässt sie drei Jahre in einer völlig ungeeigneten Unterkunft sitzen, bringt ihnen nichts bei, bereitet sie auf nichts vor, und mit 18 entlässt man sie nach Europa, wo sie sich in die Gesellschaft eingliedern sollen.“ Aktuell sieht es so aus, dass die Minderjährigen in eine neue improvisierte Unterkunft kommen sollen, weg aus der Lagerhalle in Grenznähe und raus aus den Hütten und Zelten, die die Behörden abreißen wollen. An sich wäre das kein Problem, findet auch der 32-jährige Younes, wenn man sich die Fälle nur richtig anschaut.
Er wollte immer Psychologe werden – und ist schließlich Friseur geworden. „Im Grunde ist es dasselbe“, sagt er und lacht. In den vergangenen Wochen hat er sich die Menschen angeschaut, die bei Sabah auftauchen. „Man muss sie voneinander trennen. Sie kommen aus sehr unterschiedlichen Gründen hierher, und manche müssen vor den anderen geschützt werden“, sagt er. Besonders mitgenommen hat ihn der Fall eines 21-Jährigen, der homosexuell ist und nicht in das Aufnahmezentrum will, weil er fürchtet, die anderen dort könnten das herausfinden.
Mehr als 2.500 Menschen müssten Ceuta verlassen, um zu einer Normalität zurückzukehren, sagt der Bürgermeister der Stadt, in der die ultra-rechte Partei VOX seit Neuestem Stimmung gegen die 25 Prozent Muslime macht. Denn es wird immer enger in dem kleinen spanischen Territorium in Nordafrika.
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