„Finger weg“ von der Arktis

Die Arctic Sunrise
Ein Seegericht verlangt die Freigabe des Greenpeace-Schiffs.

Russland muss das beschlagnahmte Greenpeace-Schiff „Arctic Sunrise“ freigeben und dessen Crew freilassen. Außerdem muss Russland 3,6 Millionen Euro Bankgarantie hinterlegen. Das entschied der Internationale Seegerichtshof in Hamburg am Freitag. Ein Spruch, der Russland wenig bis gar nicht kümmern dürfte.

Mit dem unter niederländischer Flagge segelnden Schiff hatten Umweltschützer von Greenpeace am 18. September versucht, die russische Bohrinsel „Priraslomnaja“ im Eismeer zu erklimmen, um gegen die Ölförderung in der ökologisch sensiblen Arktis zu protestieren. Russische Grenzschützer schleppten das Schiff mitsamt Besatzung und 30 Aktivisten in den Kriegshafen Murmansk, Anfang November wurden sie in U-Haftanstalten in St. Petersburg verlegt.

Dort soll ihnen der Prozess wegen Rowdytums gemacht werden. Darauf stehen bis zu sieben Jahre Haft. Ursprünglich lautete der Vorwurf sogar auf Piraterie, was mit bis zu fünfzehn Jahren geahndet werden kann.

Der nun in Hamburg ergangene Schiedsspruch dürfte auf ihr Schicksal kaum Einfluss haben. Zwar liegt die Bohrinsel nicht in Territorialgewässern Russlands, sondern in dessen 200-Meilen umfassender Wirtschaftszone. Laut internationaler Seerechtskonvention von 1982 hat Moskau dort nur das Recht auf Schutz seiner Naturreichtümer, nicht auf Beschlagnahme von Schiffen anderer Staaten. Die Niederlande hatten auf Herausgabe des Schiffes und Freilassung von Besatzung und Aktivisten geklagt. Doch die Duma hatte das Abkommen 1997 nur mit Vorbehalt ratifiziert und erkennt den Urteilsspruch nicht an.

Urteil und Amnestie?

Offen ist, wie es mit den Aktivisten weitergeht. Einige von ihnen wurden inzwischen auf Kaution entlassen, dürfen aber bis zur Urteilsverkündung gegen sie das Land nicht verlassen. Dass Präsident Wladimir Putin kürzlich sagte, die Umweltschützer hätten edle Ziele verfolgt, lässt sie auf Milde hoffen. Dass er hinzufügte, sie hätten die Sicherheit der Ölplattform und des dort arbeitenden Personals gefährdet, lässt auch auf eine bevorstehende Verurteilung mit anschließender Amnestie schließen.

Denn auf die Verletzung seiner Souveränitätsrechte in der Arktis reagiert Moskau seit jeher besonders empfindlich. Einst machten Ausländer die entscheidenden Entdeckungen in der Region, bezwangen 1873 die Nordost-Passage, einen Seeweg, der an den Küsten Sibiriens vorbei von Europa nach Asien führt, und erreichten 1907 auch den Nordpol. Genau hundert Jahre später rammte Moskau dort in 4 000 m Tiefe eine russische Fahne aus Titan in den Meeresboden. Kreml und Generalstab fürchteten, Entdeckern könnten Eroberer folgen.

Öl- und Gasfelder

Der Schiffsverkehr in der Nordost-Passage hat sich in den letzten vier Jahren verzehnfacht, durch den Klimawandel, der auch den Zugriff auf die Öl- und Gasfelder im Eismeer erleichtert. Dort lagert ein Viertel der weltweit erkundeten Vorkommen. Der Kampf zwischen Russland und den anderen Pol-Anrainern – allen voran die USA – um die Schätze im Eismeer spitzt sich dramatisch zu. Ebenso Moskaus Furcht vor illegalen Grenzübertritten in der Arktis: Sie macht mehr als ein Fünftel der gesamten russischen Landmasse aus, ist aber bis heute extrem dünn besiedelt, kaum erschlossen und ohne befestigte Grenzen.

Aus dem Krieg stammt die Nordpolarbahn, auf deren Trasse seit 2011 wieder Bagger und Planierraupen rattern. Auf der 390 km langen eingleisigen Strecke sollen nicht nur Kesselwagen mit Öl rollen, sondern auch Soldaten mit Kampftechnik verschoben werden. Denn Russland will bis spätestens 2020 in der Arktis militärisch omnipräsent sein und alle nach Ende der Sowjetunion 1991 aufgegebenen Flugplätze und Stützpunkte wieder reaktivieren.

Darunter auch jenen auf Franz-Josef-Land, einer von Österreich-Ungarn 1873 entdeckten und nur 800 Kilometer vom Nordpol entfernten Inselgruppe. Dort hatte die Sowjetunion im Kalten Krieg strategische Langstreckenbomber stationiert gehabt.

„Finger weg“ von der Arktis

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