Ex-SPD-Chef Gabriel: "Ich vermute, es kommt zur Ampelkoalition"
Sigmar Gabriel war am Montag kurz in Wien, weil er von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner zur Auftaktveranstaltung für die Entwicklung der niederösterreichischen Landesstrategie als prominenter Podiumsgast eingeladen war.
Am Rande gab der ehemalige Vorsitzende der SPD und Vizekanzler von Angela Merkel dem KURIER ein Interview zur bevorstehenden Bundestagswahl in Deutschland.
KURIER: Wie erstaunt sind Sie über die politischen Entwicklungen in Deutschland im Vorfeld der Bundestagswahl?
Sigmar Gabriel: Vor acht Wochen galt Frau Baerbock von den Grünen als Kanzlerin nach Auffassung der Medien und der Umfragen. Wenig später war es Herr Laschet, jetzt ist es Herr Scholz. Das Schöne an Wahlen ist, dass am Ende die Bürgerinnen und Bürger entscheiden. Nicht die Medien und nicht die Spin-Doktoren.
Aber laut den Umfragen ist es schon ziemlich entschieden, dass Olaf Scholz Kanzler werden wird?
Vor acht Wochen war es auch schon ziemlich entschieden, vor vier Wochen auch. Jetzt ist es wieder anders. Ich würde einfach sagen, wir warten jetzt einmal gelassen ab, was am 26. September geschieht.
Hätten Sie selbst überhaupt noch damit gerechnet, dass Ihre Partei in Umfragen an der ersten Stelle liegt?
Damit hat niemand gerechnet, aber niemand konnte erahnen, dass die Selbstdarstellung der CDU/CSU und auch der Grünen so entsetzlich in die Hose geht. Wenn man fair ist, dann ist es ja nicht nur die eigene Stärke und die Gloriosität der Sozialdemokratie und ihres Kandidaten, sondern das totale Versagen der anderen.
Am meisten verwundert der plötzliche Absturz von CDU/CSU. Liegt es da allein an Spitzenkandidat Armin Laschet?
Das glaube ich nicht. Er ist sicherlich ein Grund dafür, warum der Absturz so groß ist, weil er selbst kein eigenes Thema gesetzt hat und dann bei der Flutkatastrophe eine Leistung abgegeben hat, die nicht einmal die Menschen in seinem eigenen Bundesland überzeugt hat. Ich würde sagen, da begann sein großer Absturz. Aber man muss ein bisschen aufpassen, dass man es nicht zu sehr personalisiert, weil die CDU/CSU jetzt das erlebt, was die SPD schon seit Jahren erlebt hat, nämlich die Auflösung der Volksparteien. Die früheren großen Parteien CDU/CSU und die SPD schaffen es nicht mehr, die Bandbreite der Gesellschaft zu vereinen. Dafür sind wir eine viel zu individualistische Gesellschaft geworden. Diesen Spannungsbogen zu halten, das können sie heute nicht mehr.
Was hätten Sie Markus Söder als Spitzenkandidat der CDU/CSU zugetraut?
Böse Zungen würden sagen, alles. Die meinen das dann nicht nett. Er wäre vermutlich für die Union ein engagierterer Wahlkämpfer gewesen. Es gibt aber auch viele, die sagen, seine Unberechenbarkeit hätte dazu führen können, dass die Union am Ende schlecht abschneidet. Das ist Kaffeesatz-Leserei.
Sicher ist, dass der Wahlgewinner Partner brauchen wird, um regieren zu können. Es werden auch alle möglichen Koalitionen besprochen. Gibt es eine, die sie präferieren?
Am Ende sind Koalitionen keine arithmetische Mehrheit. Eine Koalition muss immer eine politische Mehrheit sein. Sie muss mehr sein, als das Zusammenrechnen von Mandaten. Da wird man rasch sehen, dass jede Partei, die da in Frage kommt, ihre eigenen Pflöcke einschlägt. Die FDP wird sagen, keine Steuererhöhungen. Die Grünen werden mit dem Klimaschutz kommen, was sehr viel Geld kostet. Und die Sozialdemokratie wird schauen, dass es zu keinen sozialen Kürzungen kommt. Wir werden sehen, aber vermutlich ist das eine Schnittmenge, die man hinbekommen kann. Deswegen ist meine Vermutung, dass es zu einer Ampelkoalition kommen wird.
Eine Große Koalition erwarten Sie nicht mehr?
Nichts ist ausgeschlossen. Aber wenn die CDU/CSU nach 16 Jahren wirklich so dramatisch verlieren sollte, wie sich das jetzt in Umfragen darstellt, dann glaube ich nicht, dass die Partei in sich die Kraft aufbringen wird, sich so schnell auf das Regieren zu verständigen, wie das dann nötig wäre. Ich glaube, dass die Union – sollte es dazu kommen – erstmals lange Zeit mit sich selbst zu tun haben wird.
Ist es möglich, dass SPD und Linke in einer Bundesregierung sein können?
Ich habe Ihnen die Antwort schon gegeben. Mehrheiten sind keine arithmetische Mehrheit, sondern eine politische. Und die kann ich nicht erkennen.
Werden Sie selbst wieder in eine Regierung gehen, falls die SPD gewinnt?
Nein, aus den unterschiedlichsten Gründen nicht.
Die sind?
So, dass man darüber in Interviews nicht reden muss. Das war eine so hypothetische Frage, die ist jenseits dessen, was im Bereich des Möglichen ist.
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