Euro-Poker: Alexis Tsipras’ doppeltes Spiel

Tsipras will ein neues Hilfsprogramm. Gleichzeitig wirbt er weiterhin für ein "Nein" beim Referendum.

Dienstag um Mitternacht geriet Griechenland offiziell beim IWF in Zahlungsverzug, nachdem eine Sammel-Rate in der Höhe von 1,5 Milliarden Euro nicht überwiesen wurde. Dienstag um Mitternacht lief auch das zweite Hilfsprogramm für Griechenland aus, nachdem die monatelangen Verhandlungen ohne Ergebnis geblieben waren.

Keine 24 Stunden später berieten die Euro-Finanzminister am Mittwoch schon, ob und wie es bald ein drittes Hilfspaket für die Griechen geben könnte.

In einem Schreiben an die Geldgeber teilte Premier Alexis Tsipras mit, das Land brauche neue Hilfen – und er sei bereit, die Vorschläge der Geldgeber, die vergangene Woche zur Verlängerung des alten Hilfsprogramms gemacht worden waren, als Basis dafür zu akzeptieren.

Mit einigen Änderungen freilich: Die Mehrwertsteuer für Hotels soll bei 13 Prozent belassen werden; für die griechischen Inseln soll die Mehrwertsteuer auf künftig um 30 Prozent niedriger bleiben als auf dem Festland. Kürzungen bei den Pensionen sollten teilweise später umgesetzt werden als gefordert. Dafür will Tsipras beim Militärhaushalt stärker kürzen und so den Gläubigern entgegenkommen.

Doch wie passt das neue Ansuchen aus Athen zum geplanten Referendum? Tsipras zerstreute Mittwochnachmittag Gerüchte, er könnte die Volksabstimmung absagen oder gar für ein "Ja" werben. Das Referendum steht – und er bittet um ein "Nein"; dies wäre "ein wichter Schritt zu einem besseren Deal" mit den Geldgebern.

Die Euro-Finanzminister gingen in ihren Beratungen nicht auf Tsipras’ Angebot ein: Vor dem Referendum am Sonntag will man mit den Griechen nicht mehr verhandeln.

Gespalten

Doch die Eurozone ist in dieser Frage gespalten: Auf der einen Seite die Hardliner, die Tsipras nicht mehr vertrauen; die nach fünfmonatigen Verhandlungen nun gegen einen Schnellschuss sind; und die auch darauf setzen, dass Tsipras sich in eine Sackgasse manövriert hat, in der man ihn jetzt am besten sitzen lässt.

Auf der anderen Seite jene, für die eine rasche Lösung oberste Priorität hat; die Not und Chaos in Griechenland vorbeugen wollen; und die nicht darauf warten wollen, dass Tsipras bei einem "Ja" zurücktritt – noch riskieren, dass er bei einem "Nein" sein Land aus der Eurozone führt.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel schloss Verhandlungen vor Sonntag kategorisch aus. "Vor dem Referendum kann über kein neues Programm verhandelt werden", sagte Merkel am Mittwoch im Bundestag. Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte, es gebe derzeit "keine Grundlage" für Gespräche.

In Brüssel sieht man das nicht ganz so streng – Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat zuletzt mehrfach betont, die Türe für Verhandlungen sei immer offen. So denkt auch Frankreichs Präsident François Hollande: "Man muss deutlich sein, die Einigung brauchen wir sofort", sagte er am Mittwoch. Es müsse raschest möglich wieder verhandelt werden.

Die Ereignisse im Detail: Der Liveticker zur Nachlese.

Daramatische Szenen vor einigen Banken am Mittwoch in Griechenland: Sie öffneten, damit Pensionisten, die über keine Bankomatkarte verfügen, 120 Euro Vorschuss auf ihre Monatsrente beheben konnten. "Das reicht nicht einmal für die nötigsten Einkäufe", war der Tenor im oft fast lebensgefährlichen Gedränge. Ob sich der Zorn am Sonntag beim Referendum gegen die Regierung oder die EU entladen wird, ist noch offen.

Tags zuvor: "Wir bleiben in Europa", rufen Tausende Demonstranten auf dem Athener Syntagma Platz unter den Fenstern der griechischen Parlamentarier und dem von Finanzminister Yanis Varoufakis. "Kündigung!" verlangt die Menge, und damit ist die ganze Regierung der Partei Syriza gemeint.

Keine Partei hat zur Kundgebung aufgerufen, man habe sich über soziale Medien organisiert, erzählt man. "Ich bin gekommen, weil ich mir nicht ansehen will, wie Griechenland in eine Katastrophe stolpert", sagt Andreas, ein etwa 50-jähriger Bauunternehmer, dem KURIER. "Die Neinsager denken, dass gleich nach dem Referendum alle griechische Schulden verschwinden. Ich verstehe etwas vom Wirtschaftswesen und kann versichern, dass auch die schwierigsten Maßnahmen der EU nicht so schlimm wären, wie zur Drachme zurückzukehren."

Viele teilen seine Meinung. Prominente sind auch da – wie der Olympia-Sieger im Gewichtheben Pyrros Dimas. Und Politiker: Der Athener Bürgermeister Giorgos Kaminis, ein Unabhängiger, der mit linker Unterstützung gewählt wurde, und sein Kollege aus Thessaloniki, Yannis Boutaris.

Angst wächst

Nach der Einführung von Kapitalkontrollen am Montag ist die Angst der Griechen und auch die Zahl derer gewachsen, die einen Abkommen mit den Gläubigern wollen – trotz Spar-Regeln. Die jüngste Umfrage des Meinungsforschers Prorata für die Tageszeitung Efimerida zeigt einen Anstieg der "Ja"-Simmen von 30 % vor der Bankenschließung auf 37 % jetzt. Die "Nein"-Stimmen sanken von 57 auf 46 %. Die Zahl der Unentschiedenen wuchs von 13 auf 17 %.

Die öffentliche Meinung kippe durch die wirtschaftliche Lage, sagt der Politologe Kostas Eleuteriou dem KURIER. "Ich erwarte am Sonntag eine kleine Ja-Mehrheit.

Äußerst zurückhaltend reagiert die deutsche Regierung auf den jüngsten Brief des Griechen-Premiers. "Der Antrag auf ein neues Hilfsprogramm aus Athen spielt vorerst keine Rolle", sagte Bundeskanzlerin Merkel bei einer Regierungserklärung zu Griechenland im Bundestag.

Es werde keine Beratungen vor dem für Sonntag angesetzten Referendum geben, so Merkel. Sie bekräftigte, dass der Schritt zwar "das legitime Recht einer jeden Regierung" sei, unabhängig, von Zeit, Inhalt und Abstimmungsempfehlung. Zugleich aber sei es auch das legitime Recht anderer Staaten, darauf zu reagieren. Die Tür für Verhandlungen mit Athen stünden aber weiter offen. Die Zukunft Europas werde "daran nicht zerbrechen". Bisher hatte sie die Griechenland-Rettung gegen alle Euro-Verträge mit "Scheitert der Euro, scheitert Europa" gerechtfertigt.

SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel hielt danach eine der bemerkenswertesten Reden eines Regierungsmitglieds zu dem Thema: Ungeschminkter als alle anderen deutschen Spitzenpolitiker bisher verwies er auf die alleinige Verantwortung Griechenlands für seinen desolaten Zustand und verteidigte die Ablehnung seiner Forderungen: "Sie wären der Einstieg in eine bedingungslose Transferunion." Damit distanzierte sich Gabriel wie nie zuvor von den Vorwürfen der Grünen und der Linken von zu wenig Kompromissen mit Athen. Europa habe "zu lange weggesehen", wie dysfunktional die griechische Politik und Gesellschaft seien, so Gabriel. Die von SPD-Kanzler Gerhard Schröder 2001 entscheidend betriebene Euro-Mitgliedschaft Athens nannte er aber nicht.

Berlin: Neuschuldenlos

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erinnerte detailliert an die Krisengeschichte des Landes und widersprach den Vorwürfen der Linken, dass der Druck Deutschlands und der USA im IWF dafür hauptverantwortlich seien. Tsipras letzten Brief kommentierte Schäuble extrem reserviert. Nach dem nunmehrigen Ablauf des zweiten Hilfspakets müsse die Griechenlandhilfe "komplett neu verhandelt werden". Dabei würden die Bedingungen eher verschärft, deutete Schäuble an.

Er sagte das in der Pressekonferenz, in der er die Finanzplanung des Bundes für die nächsten Jahre präsentierte. Er werde, wie schon seit 2014 bis 2019, ohne neue Schulden und ohne Steuererhöhungen auskommen. Belastungen aus der Griechenland-Krise gebe es zwar, sie seien aber einkalkuliert.

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