Flüchtlingsstrom: EU will Pakt mit Türkei

Flüchtlingsboote, wohin das Auge reicht, auf dem Weg von der Türkei zu griechischen Inseln. Die EU hofft darauf, dass Ankara dem Flüchtlingsstrom ein Ende setzt.
Migration: EU vereinbart mit Präsident Erdoğan Plan gegen Schlepper. Ankara will Visafreiheit.

Das ist dem türkischen Staatspräsidenten in Brüssel schon lange nicht passiert: Herzlicher Empfang und keine Verstimmung im Vorfeld seines Besuches. Recep Tayyip Erdoğan wird von den EU-Spitzen umgarnt, die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in der Türkei wird als "wertvoller Beitrag" zur Lösung der Flüchtlingskrise gelobt.

Kein Wort der Kritik gab es an seiner Minderheiten- und Menschenrechtspolitik, seiner despotischen Art und seiner Jagd nach unabhängigen Journalisten. Ratspräsident Donald Tusk, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Parlamentspräsident Martin Schulz sehen in Erdoğan wieder einen Partner – zumindest im Kampf gegen Schlepper und im Festhalten von Flüchtlingen.

Der sultaneske Präsident traf die drei EU-Granden Montagnachmittag im Stundentakt. Beim Gespräch mit Juncker nahmen auch Erweiterungskommissar Johannes Hahn und die Hohe Repräsentantin für die Außenpolitik, Federica Mogherini, teil.

Ziel der Europäer war, mit Erdoğan einen Aktionsplan zu beschließen, um dem unaufhaltsamen Strom von Flüchtlingen aus der Türkei einen Riegel vorzuschieben. Bis zu 400.000 Asylwerber kamen in den vergangenen Monaten über die Türkei nach Griechenland und weiter in die Mitte Europas.

Es wird schlimmer

Gemeinsame Patrouillen von griechischen, türkischen und Frontex-Experten sollen ab nun die See- und Landesgrenze besser kontrollieren. Mit finanzieller Unterstützung will die EU Hotspots in der Türkei errichten.

Einen kleinen Schock versetzte Erdoğan seinen EU-Gesprächspartnern, als er klarmachte, dass der Flüchtlingsstrom durch die russischen Luftschläge in Syrien noch weiter anschwellen werde.

Grenzkontrollen, Hotspots und Geld von der EU, das ist für die Türkei gut und schön, aber Erdoğan drängte auf mehr. Seit 2011 hat der muslimische Staat offene Türen für syrische Kriegsflüchtlinge, mehr als zwei Millionen sind es mittlerweile. Jetzt will die Türkei burden-sharing, die EU möge doch beim Errichten einer Schutzzone im Norden Syriens, wo riesige Camps entstehen sollten, helfen. Eine delikate Angelegenheit für die soft power Europa. Um hier eine sichere Region für rückkehrwillige Flüchtlinge zu schaffen und gleichzeitig Autonomiebestrebungen der Kurden in Syrien zu behindern, bräuchte es militärische Absicherung – die EU hat keine Armee.

Schutzzone

Leichter tut sich Brüssel mit einem Punkt der langen Forderungsliste von Erdoğan, nämlich mit der Visa-Freiheit für türkische Staatsbürger ab 2017. Ankara pocht hier auf gleiches Recht mit den anderen EU-Beitrittskandidaten am Balkan, wo es die Visa-Liberalisierung schon gibt. Auch wenn die EU-Kommission findet, dass die Türkei die Bedingungen dafür noch nicht erfüllt und die Verhandlungen noch ausstehen, wird die EU hier wohl nachgeben.

Der Herr aus Ankara machte unmissverständlich klar, dass er mit etwas Substanziellem nach Hause zurückkehren müsse. Am 1. November wird in der Türkei erneut gewählt, bei der Parlamentswahl im Juni verlor die regierende islamisch-konservative AKP die absolute Mehrheit im Parlament. Für Erdoğan, der seine Befugnisse stärken will, eine schwere Niederlage. Da es nicht gelang, eine Koalition zu bilden, wird neu gewählt.

Der AKP-Chef ist bereits auf Wahlkampftour. Die EU-Institutionen gehören für ihn – nach Auftritten in Straßburg und im Brüsseler Zentrum Sonntagabend – zu einem besonders wichtigen politischen Hotspot.

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