EU will Flüchtlingschaos entlang Balkanroute beenden
Besserer Schutz der EU-Außengrenze, mehr Kapazitäten für die Unterbringung von Flüchtlingen sowie mehr Kommunikation untereinander. So wollen die Europäer die Flüchtlingsströme entlang der Balkanroute in den Griff bekommen. Außerdem sollen in Slowenien, das mit dem Flüchtlingstreck auf seine Grenze völlig überfordert ist, innerhalb einer Woche 400 zusätzliche Polizisten den Dienst aufnehmen.
Österreich erwartet sich von den Beschlüssen des Mini-Gipfels von Brüssel „mehr Kontrollen, eine geordnete Bewegung“ sowie künftig „eine Entlastung bei ankommenden Flüchtlingen“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann zum KURIER. „Wir haben konkrete Schritte vereinbart, die das automatische Weiterschicken von Flüchtlingen am Balkan unterbinden.“ Nüchtern stellt er jedoch fest, dass „damit das Flüchtlingsproblem noch nicht gelöst ist“.
Immerhin soll Griechenland bis Ende des Jahres 20.000 Unterkünfte errichten, 10.000 bestehen bereits. Als Ziel sollen es 50.000 neue Plätze sein. Entlang der Balkan-Route kommen weitere 50.000 dazu.
Mehr Koordination
Kein Balkanland darf Flüchtlinge unangemeldet zum Nachbarn weiterleiten. Eigene Flüchtlingskoordinatoren wachen über diese Migrationsbewegungen und die vereinbarten Beschlüsse (siehe Artikel unten).
Die EU-Außengrenzen zur Türkei, zu Albanien und Mazedonien werden mithilfe von Frontex-Beamten stärker überwacht. Premier Alexis Tsipras musste sich Kritik gefallen lassen, weil Griechenland bisher Flüchtlinge unregistriert weiterziehen ließ.
Bis die EU-Beschlüsse greifen und sich auf Österreich auswirken, wird es noch dauern. Derzeit ist die Entlastung noch nicht spürbar. 58.500 Flüchtlinge befinden sich aktuell in der Grundversorgung, 15.000 Notquartiere stehen zur Verfügung, und bis Ende des Jahres werden zwischen 80.000 und 90.000 Asylwerber erwartet.
Alles andere als perfekt Was in der EU immer noch nicht gelöst ist, ist eine faire Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten. Einige osteuropäische Länder (Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Rumänien, jetzt auch Polen) sind strikt dagegen, was Bundeskanzlerin Angela Merkel als „großes Problem“ einräumt.
„Die Flüchtlingspolitik ist bisher nicht so geordnet, wie sie sein könnte“, stellte Merkel am Montag fest. „Es fehlt eine Verteilung der Menschen in der EU sowie eine Abmachung mit der Türkei. Daran arbeiten wir. Das ist alles andere als perfekt.“
In Brüssel haben sich die Regierungschefs von zehn EU-Staaten und drei Nicht-EU-Länder des Westbalkans mit der EU-Kommission und dem UNHCR auf Maßnahmen zur Eindämmung der Flüchtlingskrise auf der Balkanroute geeinigt.
- Auf der Balkanroute sollen 100.000 Aufnahmeplätze für Flüchtlinge geschaffen werden. Griechenland soll bis Jahresende 30.000 dieser Plätze schaffen. Zudem soll das Land zusammen mit dem UNHCR 20.000 weitere Plätze ausbauen. Dazu sollen Griechenland und das UNHCR finanziell unterstützt werden. Die anderen 50.000 Plätze sollen entlang der Balkanroute entstehen und vor allem als Ruheorte dienen. Wo sie entstehen sollen, wird nicht festgelegt.
- Entsendung von 400 Grenzschützern aus anderen EU-Staaten nach Slowenien innerhalb einer Woche.
- Aktivierung der EU-Sofort-Einsatzteams durch Slowenien.
- Schnellere Abschiebung von Migranten ohne Anspruch auf Asyl und engere Zusammenarbeit mit deren Herkunftsländern, vor allem Afghanistan, Pakistan und anderen asiatischen Staaten. Dafür soll die EU-Kommission ein Rückführungsabkommen etwa mit Afghanistan abschließen.
- Stopp des Durchwinkens von Migranten zum nächsten Nachbarstaat.
- Aufbau eines Kontaktnetzes zur Information über Migrationsbewegungen innerhalb der nächsten 24 Stunden.
- Engere Zusammenarbeit mit dem UNHCR, um bessere humanitäre Hilfe bei Ankunft der Flüchtlinge leisten zu können.
- Engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) und anderen Förderbanken, um die Finanzierung beim Aufbau von Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge zu gewährleisten.
- Verstärkte Maßnahmen von Polizei und Justiz, um gegen Schlepper vorzugehen. Europol und Interpol sollen auf dem Westbalkan aktiv sein.
- Stärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex an der bulgarisch-türkischen Grenze. Aufbau neuer Frontex-Einsätze an den Grenzen Griechenlands zu Mazedonien und Albanien. Auch der Küstenschutz an der griechisch-türkischen Grenze soll verstärkt werden.
- Unterstützung Kroatiens durch Frontex bei der Registrierung von Flüchtlingen und der Aufdeckung irregulärer Grenzübertritte.
- Die Fortschritte sollen wöchentlich überprüft werden. Die Kommission koordiniert die Zusammenarbeit mit den nationalen Kontaktpersonen.
Angela Merkel ist durch und durch Realistin: "Wir werden die Flüchtlingskrise nicht sofort lösen", sagte sie am Sonntag zu Beginn des Treffens zur Flüchtlingskrise. Sie behielt recht. Die Ergebnisse des Krisentreffens sind minimal, das Leaders' Meeting - so war es angekündigt - zeigte keine Leadership-Qualitäten. Am Willen von Gastgeber, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Merkel oder auch Bundeskanzler Werner Faymann lag es ganz bestimmt nicht.
Ein besserer Informationsaustausch zwischen den - vom Flüchtlingsstrom besonders betroffenen - Ländern entlang der Balkan-Route, ein Netzwerk von Kontaktpunkten, Geld von der EU und das Versprechen von Alexis Tsipras, die vereinbarten Hotspots zur Erstaufnahme in Griechenland zu errichten und die EU-Außengrenze zur Türkei besser zu sichern - das sind die Ergebnisse des Gipfels, bestenfalls Notfallmaßnahmen.
Die Positionen für eine gemeinsame Asylpolitik liegen zu weit auseinander. Ungarns Premier Viktor Orbàn sieht in Grenzzäunen und im nationalen Agieren das alleinige Heil. Als absolute Provokation wurde sein Verhalten gewertet, nur mehr Beobachter am Tisch zu sein, denn sein Land habe mit dem Flüchtlingsstrom auf der Balkan-Rourte nichts mehr zu tun. Er wüsste gar nicht, warum er nach Brüssel gekommen sei, er könne aber gerne Ratschläge erteilen.
Einige osteuropäische Staaten lehnen ein faires Quotensystem ab, für sie kommt nicht in Frage, Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen. Die Gruppe dieser Länder wird um Polen vergrößert, die rechtsnationalen Wahlsieger vom Sonntag wollen sich von der EU ab- und dem Kurs Orbàns zuwenden.
"Europa steht auf dem Spiel", warnte der slowenische Premier Miro Cerar. Das sei der Beginn vom Ende der EU und Europa als Ganzes, stellte er resigniert fest. Ein anderer Teilnehmer sprach gar von einer "europäischen Endzeit-Stimmung".
Offensichtlich hat die EU derzeit kaum noch Instrumente und Argumente, Solidarität und gemeinsames Handeln durchzusetzen. Die Quoten-Regelung ist EU-Gesetz und kann beim Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden, das wäre eine Möglichkeit. Die Stimmen werden lauter, osteuropäische Quotenverweigerer finanziell zu sanktionieren, sprich: EU-Förderungen zu streichen. Von den Gründungsprinzipien der EU ist bei manchen Ländern nichts mehr übrig. Nationale Politik ist die Devise, jeder gegen jeden und nehmen, aber nichts geben. Dennoch: Es bleibt nur der Blick nach vorne und eine rasche Umstellung unseres Denkens. Flexibilität im Kopf und im Herzen - damit müssen wir uns rüsten.
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