Was Neuwahlen für Frankreich bedeuten könnten
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron löst nach den herben Verlusten seiner Allianz bei den Europawahlen die Nationalversammlung auf und ruft Neuwahlen am 30. Juni aus. Was bedeutet das für Frankreich?
Was passiert, wenn Macron die Parlamentswahlen verliert?
Macrons Regierungsbündnis Renaissance ist mit 169 Abgeordneten derzeit die größte Fraktion in der Nationalversammlung, die 577 Sitze umfasst. Marine Le Pens rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) ist mit 88 Sitzen die größte Oppositionspartei.
Das starke Abschneiden der rechtsgerichteten Parteien bei der Europawahl zeigt die Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler mit der Regierungsarbeit bei Themen wie Einwanderung, Kriminalität und den gestiegenen Lebenshaltungskosten. Sollte die RN die Mehrheit im Parlament erlangen, müsste Macron jemanden aus ihren Reihen zum Ministerpräsidenten ernennen. Dieser bestimmt dann die Minister.
Eine so genannte "Kohabitation" wäre die Folge, bei der der Präsident und der Ministerpräsident unterschiedlichen Parteien angehören.
Was ist eine "Kohabitation"?
In dieser Konstellation behält der Präsident als Oberbefehlshaber die Führungsrolle in der Verteidigung und in der Außenpolitik, denn laut Verfassung verhandelt er internationale Verträge. Aber er würde die Befugnis verlieren, die Innenpolitik zu bestimmen - von der Wirtschaftspolitik bis zur inneren Sicherheit. Dies geschah zuletzt 1997, als der Mitte-Rechts-Präsident Jacques Chirac das Parlament auflöste. Er glaubte, eine stärkere Mehrheit erlangen zu können, verlor aber unerwartet gegen eine von der sozialistischen Partei angeführte Linkskoalition.
Der Sozialist Lionel Jospin wurde für fünf Jahre Ministerpräsident - und führte etwa die 35-Stunden-Woche ein. Seit der Gründung der Fünften Republik im Jahr 1958 gab es in Frankreich insgesamt drei Kohabitationsperioden.
Wie könnte eine Kohabitation mit Le Pens Partei aussehen?
Jordan Bardella, Le Pens 28-jähriger Schützling und RN-Vorsitzender, war als möglicher Ministerpräsident für den Fall ins Gespräch gebracht worden, dass Le Pen 2027 Präsidentin wird. Mit einer Mehrheit im Parlament könnten die Rechten ihre innenpolitische Agenda umsetzen. In ihrem Wahlprogramm für 2022 hatte sich Le Pen etwa dafür ausgesprochen, den Zugang zu Sozialwohnungen für französische Staatsangehörige zu fördern, Asylanträge außerhalb Frankreichs zu bearbeiten und die Erbschaftssteuer für Familien der Mittelschicht und mit geringem Einkommen abzuschaffen.
Außenpolitisch behielte der Präsident die Führung, die Regierung hätte aber ein gewisses Mitspracherecht. Das ließe Raum für scharfe Auseinandersetzungen. Zwischen Chirac und Jospin gab es beispielsweise Spannungen darüber, wer in der EU-Politik den Ton angibt. Auf EU-Gipfeln rangen die beiden um Einfluss. Eine Kohabitation zwischen einem überzeugten Europa-Befürworter wie Macron und einer EU-skeptischen, nationalistischen Partei wie dem Rassemblement National wäre Neuland.
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