EU-Wahl: Der Sturm auf Europas politische Mitte

Mehr europakritische Populisten, aber auch mehr Europa-Fans wollen im EU-Parlament mitbestimmen – zur Sorge der Traditionsparteien.

Erst der Brexit, dann die Wahlen zum EU-Parlament. Beide Ereignisse könnten Europa heuer heftig durchschütteln. Schon seit Monaten zeigen alle Trends in eine Richtung: Die großen, etablierten Parteienfamilien werden verlieren. Für die konservative Europäische Volkspartei (EVP) kündigen sich kleinere Verluste an. Richtig schmerzhaft aber scheint es laut Umfragen für die Sozialdemokraten zu werden.

Dagegen im Aufwind: Europäische Liberale, die zusammen mit Präsident Macrons französischer „Republique en marche“ in den Wahlkampf ziehen; ebenso wie bürgerliche Protestgruppen – etwa die spanischen Ciudadanos. Auch die europäischen Grünen dürften mit Schub der wiedererstarkten deutschen Grünen abermals deutlich zulegen.

Selbstbewusste Rechte

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Mit den allerstärksten Zugewinnen aber können die rechts- bis rechtsextremen Gruppen rechnen. Dabei wird sich zeigen: Mit einiger Verspätung kommt nun auch auf europäischer Ebene an, was in vielen EU-Mitgliedsstaaten längst politische Realität ist. Den Traditionsparteien schwimmen die Felle davon. Alt gegen jung, Protest gegen Establishment und eine massive Stärkung der populistischen, radikalen Ränder – rechts wie links.

Wie wird dies Europa verändern? Das EU-Parlament muss zu EU-Gesetzen Ja sagen. Es hat beim Budgetverfahren das letzte Wort. Es nominiert den EU-Kommissionspräsidenten. Wird ein massiver Block an Populisten dies erschweren? Droht ein „rechter Tsunami“ durch das EU-Parlament zu rollen, der mit seiner Europa-Skepsis die EU von innen aufzuweichen droht, wie so manche politische Analysten bereits fürchten? Fest steht bereits jetzt: Würde morgen gewählt, „hätte eine Große Koalition aus EVP und Sozialdemokraten keine Mehrheit“, analysiert die konservative deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung.

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Die Briten sind weg

Geschuldet ist dies auch dem ersten Wahlgang des Parlaments, der ohne die Briten stattfindet. Nach dem für 29. März 2019 festgesetzten Brexit werden alle britischen Abgeordneten aus dem EU-Abgeordnetenhaus ausziehen. Die bisher 751 Sitze des Parlaments werden auf 705 reduziert. Verschwinden wird damit ein großer, EU-skeptischer Block – von den konservativen Tories bis zur EU-feindlichen UKIP.

Doch eine nie da gewesene europa-skeptische Welle naht aus Italien. Roms rechts-populistischer Innenminister Matteo Salvini befeuert mit täglichen Attacken gegen Brüssel die gewachsenen Europamüdigkeit der Italiener – und stellt doch den Anspruch: Seine Lega-Partei soll bei den EU-Wahlen eine große Kraft werden. Mehr noch: Zusammen mit Marine Le Pens rechts-nationalistischem Rassemblement National (früher Front National) führt Salvinis Lega eine gemeinsame Wahl-Kampagne – gegen den „Bunker Brüssel“. Le Pens Motto: „Wir kämpfen nicht gegen Europa, aber gegen die zum totalitären System gewordene Europäische Union.“

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Die FPÖ mit im Bunde

Dieser rechts-populistischen Parteiengruppe im EU-Parlament, dem „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF), gehört auch die FPÖ an. 34 Sitze hatte die europaskeptische ENF bisher. Laut jüngsten Umfragen könnte sie ihre Sitzzahl bei den Wahlen fast verdoppeln. Das wird dem Bündnis aus Le Pen, Salvini, Geert Wilders und Harald Vilimsky keine andere Fraktion im EU-Parlament nachmachen können. Und die deutsche AfD will man als „natürlichen Verbündeten“ auch an Bord holen.

Zudem könnten die rechten Europa-Kritiker noch erheblichen Zuwachs durch andere, populistische Gruppen bekommen. Denn zwei weitere europaskeptische Fraktionen im Parlament, die eine rechts-national (EKR), die andere ein durchmischtes populistisches Auffangbecken (EFDD), könnten sich nach dem Brexit auflösen. Die Sorge wächst: Tun sie sich alle drei zusammen, wären sie hinter der EVP die zweitstärkste politische Kraft im EU-Parlament. Das Signal an Europa könnte nicht fataler sein: Die EU-Skeptiker breit aufgestellt im Herzen der europäischen Demokratie – noch weit vor den geschlagenen Sozialdemokraten.

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Uneinige Rechte

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Doch die Wunschträume der nationalistischen Rechten, das Europaparlament zu übernehmen, müssen noch lange nicht wahr werden. Schon bisher konnten sich die verschiedenen, untereinander zerstrittenen Rechts-Fraktionen nicht einigen.

Polens rechte Regierungspartei PiS etwa lehnt den Russland-freundlichen Kurs Salvinis, Le Pens und Straches kategorisch ab. Völlig anderer Meinung ist man auch bei der europaweiten Verteilung von Flüchtlingen. Bisher war vom Ausloten eines gemeinsamen Kurses der drei europa-skeptischen Fraktionen im EU-Parlament jedenfalls noch nichts zu hören.

Als Spitzenkandidat für die bisher stärkste europäische Parteienfamilie, der EVP, geht der konservative Bayer Manfred Weber ins Rennen. Fährt er ein passables Wahlergebnis ein, winkt ihm der Job als nächster Präsident der EU-Kommission.

Die Wahlkampf prägen dürften aber zwei Politiker, die gar nicht zu Wahl stehen: Matteo Salvini und Emmanuel Macron. Der europa-skeptische Rechtspopulist aus Italien und der europabegeisterte französische Präsident stehen einander diametral gegenüber – und stellvertretend für die eigentliche Frage dieser Wahlen: Weniger oder mehr Europa?

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