Schulz schreibt an Erdogan: "Inakzeptable Entgleisung"
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan in einem offenen Brief inakzeptable Entgleisungen vorgeworfen.
Die frei gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages wegen ihres Abstimmungsverhaltens anzugreifen und sie in die Nähe von Terroristen zu rücken, stelle „einen absoluten Tabubruch“ dar, heißt es in dem am Donnerstag nach Ankara geschickten Schreiben. Auf Dauer werde ein solches Vorgehen nicht ohne Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen bleiben, schreibt der SPD-Politiker in seinem Brief, aus dem zunächst Spiegel Online zitierte.
Schulz reagierte damit auf Angriffe Erdogans gegen Bundestagsabgeordnete wegen der Völkermord-Resolution, mit der der Bundestag Donnerstag vergangener Woche die Massaker an den Armeniern vor rund 100 Jahren als Völkermord eingestuft hatte. Die türkischstämmigen Abgeordneten hatte Erdogan als verlängerten Arm der verbotenen PKK bezeichnet. Deutschland warf er mangelnde Aufarbeitung des Holocaust vor. Im Internet wurden die elf türkischstämmigen Abgeordneten auch massiv bedroht.
Schulz schrieb dazu: „Die Freiheit der Mandatsausübung, insbesondere die Freiheit von jedwedem äußerem Druck, ist einer der entscheidenden Gradmesser für die Qualität einer Demokratie.“ Er fühle sich verpflichtet, alle betroffenen Kolleginnen und Kollegen, wo es ihm möglich sei, zu schützen. „Im Vertrauen auf unsere langjährige Zusammenarbeit bitte ich Sie, meine Argumente in Ihre Erwägungen einzubeziehen“, endet der Brief an Erdogan.
Auch Parlamentspräsident findet deutliche Worte
Auch der deutsche Parlamentspräsident Norbert Lammert fand deutliche Worte in Richtung Erdogan. „Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit Zweifeln an deren türkischer Abstammung verbindet, ihr Blut als verdorben bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten“, sagte Lammert am Donnerstag im Bundestag.
„Die Verdächtigung von Mitgliedern dieses Parlamentes als Sprachrohr von Terroristen weise ich in aller Form zurück. Wir stellen uns jeder Kritik und wir ertragen auch persönliche Angriffe und Polemik“, sagte der Bundestagspräsident. „Doch jeder, der durch Drohungen Druck auf einzelne Abgeordnete auszuüben versucht, muss wissen: Er greift das ganze Parlament an.“
Lammert kündigte an: „Wir werden darauf entsprechend reagieren mit allen Möglichkeiten, die uns im Rahmen der Gesetze zur Verfügung stehen.“ Allen Abgeordneten, die im Zusammenhang mit ihrer politischen Tätigkeit bedroht oder unter Druck gesetzt würden, gelte die Solidarität des gesamten Parlaments.
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