Visafreiheit: EU macht Druck auf die Türkei
Der Ton zwischen Brüssel und Ankara wird schärfer, wenige Tage vor Besuchen europäischer Spitzenpolitiker in der Türkei nehmen die Spannungen zu.
Der Grund ist der EU-Türkei-Deal und das zentrale Anliegen Ankaras, die Visabefreiung noch vor dem Sommer zu bekommen. Ein absurder Streit ist darüber ausgebrochen: Präsident Recep Tayyip Erdoğan behauptet, sein Land erfülle alle dafür nötigen 72 Benchmarks, die EU spricht von nur 19.
Innenkommissar Dimitris Avramopoulos hat am Mittwoch den Türken gedroht und ein Ultimatum gestellt: "Es gibt keine Visa-Liberalisierung, wenn nicht alle Benchmarks bis Ende April erfüllt sind." Am 4. Mai legt die Kommission dann ihren Bericht vor, von dem abhängt, ob türkische Staatsbürger ab Ende Juni visafrei in die EU einreisen dürfen.
Notbremse
Außerdem besteht die Kommission auf einer Suspendierungsklausel im Visa-Abkommen. Wird die Visafreiheit missbraucht, kann die EU eine Notbremse ziehen und das Abkommen aussetzen. Das passt der Türkei gar nicht. Erdoğan droht erneut, den EU-Türkei-Deal platzen zu lassen. Das ist vorerst Rhetorik, weil die Türkei die Visa-Liberalisierung, das Geld (bis zu sechs Mrd. € bis 2018) und mehr Tempo bei den Beitrittsverhandlungen will.
Die EU-Seite hingegen ist mit dem bisher erreichten Ergebnis des Türkei-Paktes einverstanden. Der illegale Flüchtlingsstrom aus der Türkei nach Griechenland ist eingebrochen, auch Dank der NATO-Schiffe in der Ägäis. In den vergangenen drei Wochen kamen nur 5847 Migranten an.
Die Rückführungen von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei verläuft schleppend. Erst 325 Personen, die keinen Asylantrag gestellt haben oder nicht schutzbedürftig sind, wurden seit 20. März zurückgeschickt. 103 Syrer aus der Türkei wurden legal in die EU gebracht. Von der ersten Drei-Milliarden-Tranche sind 187 Millionen € für Flüchtlingsprojekte (Nahrungsmittel, Schulen) ausbezahlt. "Viel zu wenig", sagt die Türkei.
Brisanter Merkel-Trip
Von der Reise der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel am Samstag in die Türkei erwarten nun alle, dass sie die Missstimmung aufhebt. Gemeinsam mit Ratspräsident Donald Tusk und Vizekommissionschef Frans Timmermans fliegt sie nach Gaziantep unweit der syrischen Grenze.
In diplomatischer Mission ist nächste Woche auch Erweiterungskommissar Johannes Hahn. In Istanbul prüft er, was bisher für das Visa-Abkommen gemacht wurde. Nahe Syrien in Sanliurfa besucht er ein Flüchtlingscamp.
Im Kanzleramt will man über diese Querelen lieber nicht reden – auch auf Nachfrage gab man gestern noch nicht bekannt, wer die EU-Spitzen von türkischer Seite empfangen werde oder welches Programm sie in der Stadt erwarte. Vor einer Woche hatte es ähnliche Turbulenzen geben. Da hieß es, dass Merkel nach Kilis, einem Flüchtlingslager unweit der Grenze, reisen wolle. Die Visite fand nicht statt.
Unglück bestätigt
Unterdessen hat das Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Mittwoch bestätigt, dass bei einer der schlimmsten Flüchtlingstragödien der vergangenen Jahre im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien möglicherweise bis zu 500 Menschen ertrunken sind. Die Organisation hatte in der griechischen Stadt Kalamata mit 41 Überlebenden gesprochen. Demnach soll sich das Unglück, von dem bereits seit Tagen berichtet wird, in der vergangenen Woche ereignet haben.
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