EU-Staaten setzen auf Justiz im Irak
Während in Nordsyrien an immer mehr Orten Kämpfe zwischen syrischen Verbündeten der Türkei und der syrischen Armee eskalieren, droht die Lage rund um die dortigen Kriegsgefangenenlager zu eskalieren – in Gefängnissen und Lagern auf kurdischem Gebiet sitzen bis zu 10.000 Ex-IS-Kämpfer und deren Familien ein. Manche dieser Lager wurden von der türkischen Luftwaffe bombardiert, es gibt Aufstände und Ausbrüche. Vor allem im Lager Al Haul spitze sich die Lage zu, so der in der Region bestens vernetzte Politologe Thomas Schmidinger. Bemerkenswert sind zudem gezielte Angriffe der türkischen Luftwaffe. So wurde das Lager Ain Issa angegriffen, während zugleich ein Aufstand ausbrach. Viele gefangene IS-Kämpfer entkamen. Das wirke wie eine „akkordierte Aktion“, so Schmidinger.
Während sich die EU-Staaten auf so gut wie keine Reaktion auf den türkischen Einmarsch in Nordsyrien einigen konnten, sind es die Insassen in genau diesen Lagern, die sie jetzt alarmieren. Bisher haben sich die EU-Staaten bis auf wenige Ausnahmen geweigert, IS-Kämpfer mit ihrer Staatsbürgerschaft zurückzunehmen. Jetzt will die EU den bereits bestehenden Plan forcieren, IS-Kämpfer im Irak anzuklagen. Ähnliches war bereits verhandelt worden – ohne nennenswerte Fortschritte.
Aussichtslos
Und zahlreiche Beobachter wie auch Schmidinger halten den Plan prinzipiell zum Scheitern verurteilt. Denn schon jetzt sei die irakische Justiz mit der Flut an IS-Verfahren aus dem eigenen Krieg mit der Terrorgruppe heillos überfordert – abgesehen von Bedenken was Menschenrechte und Sicherheit angehe und dass reguläre Überführung Gefangener aus Syrien derzeit schlicht unmöglich sei, wie Schmidinger sagt.
Zugleich steht der Bürgerkrieg in Syrien an der Kippe, einer direkten Konfrontation zwischen Syrien und der Türkei. Gefechte zwischen der syrischen Armee und syrischen Milizen, die mit der türkischen Armee verbündet sind, wurden bereits gemeldet. Und am sechsten Tag des türkischen Einmarsches und anfänglichen Gebietsgewinnen konnten die kurdisch dominierten SDF-Verbände anscheinend zumindest eine zuvor zum Teil schon von türkischen Kräften eingenommene Stadt an der Grenze zur Türkei zurückerobern: Am Mittwoch meldeten die SDF, die Stadt Ras Al-Ayn wieder vollständig zu kontrollieren.
Es ist ein Abkommen mit der syrischen Führung, das den SDF etwas Luft verschafft. Und es ist genau dieser Deal, der für die Türkei das Risiko in diesem Feldzug massiv in die Höhe treibt. Setzt die türkische Offensive doch zu einem großen Teil auf syrische Rebellenkämpfer – also genau jene Leute und Gruppen, die an anderen inner-syrischen Frontlinien nur einen Feind haben: Die syrische Armee und deren Verbündete.
Für die Kurden macht sich in dieser Lage bezahlt, dass sie sich aus den inner-syrischen Gemetzeln der vergangenen acht Jahre weitestgehend herausgehalten und nie offen mit dem syrischen Regime gebrochen haben. Laut Schmidinger sieht die Einigung zwischen den SDF und Damaskus folgendermaßen aus: Die Kurden behalten ihre Selbstverwaltung in den Städten und die Kontrolle über die Grenze zum Irak; die syrische Armee sichert die Fläche sowie die Grenze zur Türkei. Und Russland soll schließlich ein Flugverbot über dem Gebiet umsetzen. Bisher hatten die USA in dem Gebiet die Lufthoheit.
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