Keine Einigung: EU zögert weiter, Russlands Milliarden anzuzapfen

European Union leaders' summit in Brussels
Sanktionen gegen Russland nehmen auch China ins Visier. Russlands eingefrorene 140 Milliarden aber greift die EU vorerst lieber nicht an

Ein klares Signal, um alle Streitereien zu übertönen: Das wollten die Staats- und Regierungschefs der EU gleich zum Auftakt ihres Herbstgipfels in Brüssel aussenden. Sie taten es, mit dem Beschluss eines neuen Pakets an Sanktionen gegen Russland. Das 19. ist es inzwischen, und es zieht einen dicken Schlussstrich, politisch und wirtschaftlich: Kein Gas mehr aus Russland, und zwar schon ein Jahr früher als bisher geplant, also ab 2027. Ungarn und die Slowakei, bis dato völlig abhängig von fossiler Energie aus Russland, haben ihren Widerstand aufgegeben.

Raue Töne gegen China

Doch die Sanktionen richten sich nicht nur gegen Russland, sondern auch seinen besten Kunden, was Öl und Gas betrifft: China. Zwei chinesische Raffinerien, die beide russisches Erdöl im großen Stil verarbeiten, stehen ebenfalls auf der schwarzen Liste. Damit können sie keine Geschäfte mehr in Europa machen.

Der Tonfall gegenüber China verschärft sich auch sonst hörbar. Nachdem Peking zuletzt seine Exporte an Seltenen Erden – essenziell für Europas Industrie – zurückgefahren hatte, verlangten die EU-Staaten auf dem Gipfel harte Gegenmaßnahmen von der EU-Kommission. „Alle wirtschaftlichen Instrumente“ sollten eingesetzt werden.

Russlands Milliarden

Das wohl stärkste Instrument, dessen Einsatz die EU seit Monaten diskutiert, richtet sich aber gegen Russland. Milliarden der russischen Staatsbank liegen eingefroren bei europäischen Finanzdienstleistern, etwa Euroclear in Belgien. 140 davon sollen als Deckung für einen Kredit an die Ukraine eingesetzt werden. Ein riskantes Unternehmen, schließlich drohen nicht nur russische Klagen und andere Gegenmaßnahmen. Auch das Vertrauen in den Finanzplatz Europa stünde auf dem Spiel, wenn dort plötzlich mit ausländischem Staatsvermögen hantiert werde.

Auch Österreichs Bundeskanzler warnte - und wurde gehört

Belgien, das als Lagerstätte der russischen Milliarden am meisten Risiko tragen würde, erhob massive Bedenken – und blieb damit nicht allein. Auch Österreichs Bundeskanzler Christian Stocker macht deutlich, dass ihn das Kreditmodell bisher nicht überzeugt. Zuletzt, so Stocker, würden wohl die EU-Staaten für diesen Kredit haften müssen. Zwar wollen die meisten EU-Staaten zumindest grundsätzlich an dem Plan für den Kredit festhalten - doch einen konkreten Beschluss zu setzen, das trauten sich die EU-Staats- und Regierungschefs zu letzt doch nicht Die EU-Kommission bekam einen vagen Auftrag, weitere Pläne ausarbeiten.  Dass dann die Bedenken ausgeräumt sind, ist derzeit eher unwahrscheinlich

Andere Möglichkeiten, die Ukraine weiterhin zu unterstützen, seien aber nicht in Sicht, gestehen hochrangige Diplomaten am Rande der Gipfelgespräche ein. Die Budgets der Mehrheit der EU-Staaten – auch Österreichs – sind in Schieflage. Zugleich aber steigen die finanziellen Anforderungen auf europäischer Ebene: Nicht nur die Ukraine, auch die Wiederaufrüstung Europas muss finanziert werden, ebenso der Kampf gegen den Klimawandel.

Der allerdings musste sich bei diesem Gipfel hinten anstellen. Die große Mehrheit der EU-Staaten, darunter auch Österreich, hatte sich schriftlich an die EU-Spitzen gewandt, mit einer klaren Forderung: Jetzt müsse der Wirtschaft in Europa Vorrang gegeben werden. Zum Gipfelauftakt trafen sich Österreich, Deutschland und andere Gleichgesinnte zu einem Frühstück, als „Industrie-Union“. So will man sich von jetzt an bei jedem EU-Gipfel vorab abstimmen, um den Anliegen, vor allem der Industrie, mehr Nachdruck zu verleihen.

Weniger Regulierung, weniger Auflagen, schnellere Genehmigungen für Firmen und neue Projekte, so formulieren die Vertreter der Wirtschaft im Hintergrund ihre Anliegen. Im Klartext aber heißt das: Der „Green Deal“, also all die zuletzt eingeführten Regelungen, mit denen Europa die Klimawende voranbringen will, werden zurück gestutzt. Erste grüne Projekte wie die Entwaldungsverordnung sind bereits gestoppt. Klimaziele, wie die Verringerung des CO2-Ausstoßes, die fix festgelegt und in Zahlen gegossen waren, wurden auch bei diesem Gipfel aufgeweicht. Für grüne EU-Politiker, wenige Wochen vor dem UN-Gipfel eine Katastrophe, für Bundeskanzler Stocker eine Notwendigkeit. Wo solle man denn das Geld für die großen EU-Projekte hernehmen, wenn man nicht zuerst die Wirtschaft wieder zum Laufen bringe.

Kommentare