Brexit: Finanzplatz London schwankt zwischen Sorge und Hoffnung

Brexit: Finanzplatz London schwankt zwischen Sorge und Hoffnung
Die britische Wirtschaft stellt sich mehrheitlich gegen einen EU-Austritt, doch gewichtige Stimmen der Hochfinanz sehen in einem Alleingang sogar Chancen.

Als der Londoner Bürgermeister Boris Johnson am Sonntag mit seiner Unterstützung für einen Brexit die politische Bombe platzen ließ, schien sich zumindest der internationale Währungsmarkt über die Konsequenzen eines nun wesentlich wahrscheinlicher gewordenen EU-Ausstiegs Großbritanniens einig zu sein: Das britische Pfund, in den letzten Wochen ohnehin schon merklich schwächelnd, rasselte schlagartig nach unten, und Montag zeichnete sich bereits der tiefste Fall gegenüber dem Dollar seit den Zeiten der Finanzkrise im Jahre 2009 ab.

Johnson selbst kann das kaum überrascht haben, schließlich schrieb er selbst erst kürzlich in seiner eigenen Kolumne für den Daily Telegraph, dass ein Brexit "manche Unsicherheit für die Wirtschaft schaffen" und die Regierung "einige Jahre in knifflige Verhandlungen mit der EU" verwickeln würde: "Energien für die wirklichen Problemen dieses Landes würden so vergeudet."

In der Tat sieht sich Johnson sonst gern als Garant der Interessen der Londoner City, in deren Bankentürmen naturgemäß eher wenig Enthusiasmus für einen britischen Alleingang zu orten ist. Unter den traditionsgemäß pressescheuen Bankern wird über Katastrophenszenarien wie ein Abwandern von 100.000 Finanzjobs geunkt.

Der britische Finanzsektor, der beachtliche 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, exportiert jährlich finanzielle Dienstleistungen im Wert von rund 26 Milliarden Euro in den Rest der EU. Nicht unwesentlich angesichts eines besorgniserregend hohen Handelsbilanzdefizits, welches Brexit-Anhänger wiederum gern als Argument dafür ins Treffen führen, warum Europa dem Handel mit einem aus der EU ausgetretenen Großbritannien gewiss keine wirtschaftlichen Hindernisse in den Weg stellen würde.

Gute Exportchancen

Es liegt wohl in der Natur der Spekulationswelt, in jeder Destabilisierung auch eine Chance zu finden. Der Investment-Fonds-Manager Neil Woodford ging kürzlich gar mit der Meinung an die Öffentlichkeit, es sei plausibel, dass ein Brexit "bescheiden positive Auswirkungen" auf die britische Wirtschaft haben würde. Schließlich sei etwa ein Fallen des in jüngeren Jahren überbewerteten Pfunds im Grunde bereits eine gute Nachricht für britische Exporteure.

Die britische Industriellenvereinigung ist da sichtlich anderer Meinung. Ihr von britischen Großkonzernen unterstützer Report "Choosing our Future" stellt sich voll hinter eine EU-Mitgliedschaft und den von David Cameron in Brüssel ausgehandelten Reformplan.

Das Institute of Directors, ein einflussreicher Club von über 30.000 Wirtschaftskapitänen, organisierte eine Umfrage, derzufolge knapp zwei Drittel seiner Mitglieder Camerons Paket befürworten. Doch auch unter ihnen wünschten sich immerhin 31 Prozent einen Ausstieg aus der EU mit ihren – aus britischer Sicht – lästigen Regulativen.

"Projekt Angst"

Dabei sind ökonomische Argumente einer der wesentlichen Eckpfeiler des von der Pro-EU-Seite geschürten sogenannten "Project Fear", das den Briten Angst vor der Ungewissheit eines Brexit machen soll. Die Kampagne "Britain Stronger In Europe" behauptet, dass ein EU-Ausstieg Großbritannien 3 Millionen Jobs kosten könnte. Ihre Galionsfigur Lord Stuart Rose, Ex-Chef des Traditionsunternehmens Marks & Spencer, macht indessen keine allzu glückliche Figur. Bei einem TV-Interview in der Fabrik des Fahrradherstellers Brompton brauchte er neulich vier Anläufe, um den Namen seiner Lobby-Organisation zu nennen, und einigte sich schließlich mit sich selbst auf "Better Stay in Britain." Bezeichnend für eine pro-EU-Kampagne, die es einfach nicht schaffen will, glaubhaften Enthusiasmus für den so fremden Kontinent zu vermitteln.

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