Warum Polen Europas großes Sorgenkind im Osten bleibt

EU College of Commissioners and European Commission President Ursula von der Leyen visit Poland
In Brüssel registriert man den Sieg des rechtskonservativen Europaskeptikers Nawrocki mit Sorge. Wackelt etwa die Unterstützung für die Ukraine?

Die Ermahnung ließ sich bestenfalls zwischen den Zeilen lesen und kam natürlich erst nach der Gratulation. "Gemeinsam sind wir alle stärker in unserer Gemeinschaft des Friedens, der Demokratie und der Werte", meinte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in ihrer ersten Reaktion auf den Wahlsieg des Rechtskonservativen Karol Nawrocki. Klar, was damit gemeint war,  denn gerade von dieser Gemeinschaft hält der Ex-Boxer nicht allzu viel. Immer wieder hat Nawrocki im Wahlkampf klar gemacht, dass Trump und die USA der wichtigste Partner für sein Land und damit für ihn seien und eben nicht die EU. Vor allem von der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik der Union hält er wenig, diese sei halbherzig und würde Europa schutzlos der illegalen Migration ausliefern. Damit liegt er ganz auf der Linie des Nachbarlandes Ungarn und dessen Regierungschef Viktor Orban, der sich bei EU-Entscheidungen ständig als Blockierer in Stellung bringt. Entsprechend erfreut jedenfalls die erste Reaktion aus Budapest: Die Präsidentenwahl in Warschau sei "ein weiterer Sieg für Europas Patrioten".

"Das pro-europäische Polen untergraben" 

Weit deutlicher als Von der Leyen werden andere EU-Spitzenpolitiker, etwa Rene Repasi, Chef der deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament: Nawrocki lehne eine engere EU-Integration Polens ab und werde daher wohl "weiter bremsen", wie schon sein Vorgänger, der ebenfalls rechtskonservative Andrzej Duda: "Eine solche Entwicklung würde das proeuropäische und demokratische Polen untergraben."

Der Wahlsieg des liberalen Donald Tusk bei den Parlamentswahlen im Vorjahr wurde in Brüssel mit Euphorie aufgenommen. Nachdem die konservative Vorgängerregierung der PiS ständig auf Kollisionskurs mit der EU steuerte und mehrere EU-Verfahren wegen Verletzung von Grundregeln des Rechtsstaats und der Demokratie am Hals hatte, erhoffte man sich von der Tusk-Regierung eine Kehrtwende. Als quasi Vorschusslorbeeren wurden die EU-Verfahren gegen Polen eingestellt. Doch auch Donald Tusks außenpolitische Linie verschaffte der EU einige Probleme - und das ausgerechnet in einem Jahr, in dem Polen die Präsidentschaft der EU übernommen hat. Die läuft noch bis Ende Juni 2025.

Tusk musste versuchen, im Vorfeld der Präsidentenwahlen auch Polens konservative Wähler für seine Partei und deren Kandidaten zu gewinnen, und setzte daher in der Migrationsfrage ebenfalls auf eine harte Linie. So wies der polnische Grenzschutz an der Grenze zu Weißrussland Asylwerber, die aus dem pro-russischen Nachbarland kamen, einfach an der Grenze ab und schickte sie zurück. Ein klarer Verstoß gegen geltendes EU-Recht. Brüssel aber drückte beide Augen zu. Man verwies darauf, dass diese Migranten von Weißrusslands Diktator Lukaschenko quasi als Waffe missbraucht würden, um die EU zu schwächen. Daher habe Polen das Recht, sich gegen diese ohnehin von Moskau gesteuerte Taktik zu wehren.

Wie geht es mit dem Nachbarn Ukraine weiter?

Auch im Umgang mit der Ukraine signalisierte Polen, dass die Großzügigkeit allmählich ein Ende habe. Als Nachbarland hatte Polen mit fast zwei Millionen Ukrainer die mit Abstand größte Zahl an Flüchtlingen aufgenommen und diesen auch den Zugang zum Arbeitsmarkt und Sozialleistungen weit geöffnet. Dazu machte man sich dafür stark, den EU-Markt für landwirtschaftliche Exporte des Agrarriesen Ukraine unbeschränkt freizugeben. Nach drei Kriegsjahren aber will man diese Freizügigkeiten wieder beschränken. Mit den wütenden polnischen Bauern im Nacken, die sich von den Billigimporten aus dem Nachbarland überrollt und ausgebremst füllen, drängt Polen auf strenge Kontingente bei Importen aus der Ukraine.

Die Angst vor der europäischen Friedenstruppe geht um

Militärisch bleibt Polen zwar einer der wichtigsten und konsequentesten Unterstützer der Ukraine, doch auch hier zeigt sich, dass diese Unterstützung eine klare Grenze hat: Eine europäische Friedenstruppe für die Ukraine? Daran, das hat Tusk mehrfach klargemacht, werde Polen keinesfalls teilnehmen. Auch hier muss sich der Premier an seinen Landsleuten orientieren, die auf keinen Fall in einen Krieg gegen Russland hineingezogen werden wollen. Denn zum Sprachrohr genau dieser Ängste hat sich Nawrocki schon im Wahlkampf gemacht - und wird es als Präsident wohl weiterhin sein. Polen und sein Premier werden sich also weiterhin sehr pro-europäisch geben, aber wenn es um polnische Interessen geht, hat die EU das Nachsehen und muss sich sogar mit dem Bruch von EU-Recht abfinden. 

Kommentare