EU-Migrationskrise: „Grenzen dicht“ ist noch keine Lösung
Nacht für Nacht in einer verfallenden Unterführung nahe Brüssels Gare de Midi: Auf halb verschimmelten Matratzen schlafen hier dicht gedrängt an die 200 junge illegale Migranten. Kommt die Polizei vorbei, stieben alle in Panik davon. Keiner der meist afrikanischen Migranten hier hat sich registrieren lassen oder um Asyl angesucht. Sie alle wollen weiter – nach Großbritannien.
In Belgien wie in Frankreich, Italien und entlang aller Flüchtlingsrouten durch Europa entstehen immer wieder illegale Lager, wo gestrandete Migranten unter elendsten Bedingungen ausharren.
– Rückführungen: Das von allen EU-Staaten in seltener Einigkeit angepeilte Ziel, die Rückführungen von illegalen Migranten zu forcieren, scheitert an vielen Herkunftsländern in Afrika. Diese wollten sich bisher nicht auf ein Abkommen einlassen, ihre Bürger zurückzunehmen. Knapp 200.000 Menschen kamen im Vorjahr illegal über den Seeweg nach Europa, heuer waren es rund 35.000. Rund eine Million Menschen müsste derzeit nach Schätzungen der EU-Kommission aus der EU abgeschoben werden, weil ihnen Asyl verwehrt wurde.
– Außengrenzen dichtmachen: „Migranten und Flüchtlinge erst gar nicht in die EU lassen“, lautet derzeit ein besonders oft gehörter Vorschlag von EU-Staats- und Regierungschefs. Auch Österreichs Kanzler Kurz fordert: Flüchtlinge sollten in Anhaltezentren außerhalb der EU ihren Antrag auf Asyl stellen. So könnte bereits dort entschieden werden, ob Asyl gewährt und damit Einreise in die EU ermöglicht werden kann oder nicht. Das Problem dabei: Alle Staaten Afrikas lehnten bisher kategorisch ab, solche Lager auf ihrem Territorium zu errichten.
Einig aber sind sich alle EU-Staaten, die EU-Außengrenzen zu verstärken. Bis zu 10.000 Frontext-Beamte der EU sollen künftig neben den nationalen Grenzschützern die illegale Migration abwehren. Dass dies reicht, die Grenzen vollkommen abzudichten, wird bezweifelt.
– gemeinsames Asylsystem: Für die Abwicklung von Asylanträgen außerhalb der EU fehlt das Wichtigste – ein gemeinsames Asylsystem: Denn erhält beispielsweise ein Flüchtling aus Eritrea in einem Lager in Mali Asyl für die EU, muss noch geklärt werden: Welches Land nimmt ihn auf? Damit steht Europa wieder vor der Verteilungsfrage, an der sich Brüssel die Zähne ausbeißt. Die vier Visegrád-Länder Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien lehnen die Aufnahme von Flüchtlingen vollkommen ab. Österreichs InnenministerHerbert Kickl zieht dabei mit. Man steht auf dem Standpunkt: Sind die EU-Grenzen zu, kommt gar kein Migrant mehr. Diese Sichtweise aber können Italien, Griechenland und Spanien, wo die meisten Flüchtlinge ankommen, nicht teilen. Sie beharren darauf, dass nicht ihnen allein die Last für die ankommenden Migranten aufgebürdet werden kann. Jede europäische Lösung, die sie außen vor lässt, werden die südeuropäischen Staaten blockieren - auch wenn die Grenzen noch so geschlossen wären.
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