Kritik an EU-Gesetz: Bürokratieabbau gefährdet Menschenrechte

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Brüssel will Bürokratie abbauen - baut aber Schutz von Menschenrechten ab: UN-Experten kritisieren neues Lieferkettengesetz

Einst war es ein Vorzeigeprojekt für die globale Verantwortung, die die EU und Europas Wirtschaft übernehmen sollen. Europäische Firmen würden keine Produkte mehr beziehen, die mit Hilfe von Kinder- oder Zwangsarbeit hergestellt wurden oder für die Urwälder gerodet wurden. Dafür sollte das EU-Lieferkettengesetz sorgen. Vertreter der Wirtschaft warnten dagegen vor riesigem bürokratischen Aufwand, der vor allem kleinere Firmen überfordern und ihnen teure Aktenberge aufbürden würde.

Das Lieferkettengesetz aber, das - nach einem großzügigen Umbau - jetzt die letzten Hürden in Brüssel nimmt, wird niemandem mehr gerecht, kritisieren Experten in Brüssel: Es schützt keine Menschenrechte mehr und belastet die Firmen trotzdem mit Bürokratie.

In der zweiten Amtszeit von Ursula von der Leyen hat die EU den Abbau von Bürokratie und die Stärkung der Wirtschaft auf ihre Fahnen geheftet. Das Lieferkettengesetz ist damit zum zweiten Mal zum EU-Vorzeigeprojekt geworden – für einen sinnvollen Abbau von Gesetzen und Regulierungen, der die Firmen entlastet und trotzdem an den Zielen festhält.

Das Lieferkettengesetz ist das erste von einer Reihe von EU-Gesetzen, die in den kommenden Monaten im sogenannten „Omnibus“-Verfahren reformiert und vereinfacht werden sollen. „Es geht um praktisch machbare Regeln“, antwortete EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis kürzlich auf eine Frage des KURIER: „nicht darum, unsere Standards zu senken.“

An diesem Montag passiert das inzwischen zurechtgestutzte Lieferkettengesetz den entscheidenden Ausschuss im EU-Parlament, danach sollte politisch der Weg frei sein zum - ohnehin nach hinten verschobenen – Inkrafttreten 2028.

„Kein Recht für Opfer“

Die Reform aber hat das Gesetz seiner zentralen Inhalte beraubt, kritisiert die Menschenrechtsexpertin Gabrielle Holy bei einer Veranstaltung der UNO in Brüssel. Europäische Firmen müssten jetzt nur noch ihre direkten Lieferanten auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz überprüfen, „aber die wahren Verstöße finden bei denen nicht statt, sondern bei den Lieferanten davor.“ Zwischen dem Hersteller etwa, der in Asien Kinderarbeit einsetze und den Firmen in Europa seien fast immer Zwischenhändler eingeschaltet: „Der Profit durch Kinderarbeit geht einfach weiter.“

Eingeschränkte Möglichkeit auf Klagen

Noch schwerwiegender aber sei, dass die Möglichkeiten der Opfer, vor einem EU-Gericht zu ihrem Recht zu kommen, stark eingeschränkt wurde. Das ursprüngliche Lieferkettengesetz sollte etwa Zwangsarbeitern die Möglichkeit geben, dort - mit Hilfe von Menschenrechtsorganisationen – zu klagen, wo die Produkte in den Geschäften liegen, also etwa in Österreich. Dieses Recht sei durch die Reform quasi „aufgekündigt“ worden, meinten die Experten übereinstimmend bei der UN-Veranstaltung: „Jetzt haben die Opfer kaum noch Chancen auf Entschädigung. Dazu kommt, dass durch die Reform das Lieferkettengesetz nur mehr sehr große Firmen betrifft: Mehr als 1.000 Angestellte, mehr als 450 Millionen Euro Jahresumsatz ist die Untergrenze. In Österreich weniger als ein Prozent der Unternehmen.

Lego und Ikea warnen

Doch gerade viele große europäische Firmen machen sich für das Lieferkettengesetz stark - und zwar in seiner ursprünglichen Form. Konzerne wie Lego, Ikea, oder der Schmuckhersteller Pandora warnen vor der Aushöhlung des Gesetzes: „Diese Reform ist keine Vereinfachung. Sie macht es viel schwerer, für Menschenrechte aktiv zu werden.“ Entsetzt zeigen sich auch die Grünen im EU-Parlament, die sich konsequent gegen die Reform gestemmt haben, wie etwa die österreichische Abgeordnete Lena Schilling: „Ohne echten Schutz vor Kinderarbeit und Umweltverschmutzung hat das Lieferkettengesetz seinen Namen nicht verdient.“

In Deutschland und Österreich zeigen sich die meisten Vertreter der Wirtschaft dagegen erfreut über die Reform, ebenso die bürgerlichen Parteien ÖVP, oder CDU: „Wir setzen den Rotstift an und entlasten unsere Unternehmen von Bürokratie.“ Man müsse aufhören, ständig Dokumentationen anzulegen, die im Endeffekt nur in Schubladen landen .

Dass genau diese Papierflut aber mit dieser Reform verhindert wird, bezweifeln die Experten: „Dann bekommt der erste Lieferant in der Reihe 80 Seiten zum Ausfüllen“, lautet die ernüchternde Prognose: „Das ist genau die unnötige bürokratische Übung, die man mit der Reform verhindern wollte.“

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