EU-Staaten wollen weitere Lockerungen beim Lieferkettengesetz

Lieferketten
Vorgaben sollen für Unternehmen mit mehr als 5.000 (statt 1.000) Beschäftigten und einem Jahresumsatz ab 1,5 Mrd. Euro (statt 450 Mio. Euro) gelten.

Die EU-Mitgliedstaaten setzen sich beim Lieferkettengesetz für weitere Zugeständnisse an die Wirtschaft ein. Neben des schon beschlossenen Aufschubs der Vorgaben auf 2028 verständigten sich die Vertreter der 27 Länder am Montagabend in Brüssel darauf, dass die Regeln für deutlich weniger Unternehmen gelten sollen. Die Firmen sollen zudem weniger Daten zu ihren Produktionsketten liefern müssen.

Für Firmen mit über 5.000 Beschäftigten und 1,5 Mrd. Euro Jahresumsatz

Mit dem Gesetz will die EU eigentlich Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und 450 Mio. Euro Jahresumsatz für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung in ihrer Produktion in die Pflicht nehmen. Diese Schwelle wollen die Regierungen der EU-Länder nun anheben, auf mindestens 5.000 Beschäftigte und einen Jahresumsatz von mindestens 1,5 Mrd. Euro. 

Das entspräche einem Lieferkettengesetz, wie es derzeit in Frankreich in Kraft ist. Das deutsche Gesetz schreibt, wie bisher auf EU-Ebene vorgesehen war, Regeln für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten vor, die schwarz-rote Bundesregierung in Deutschland will es aber ohnehin abschaffen.

Nach Vorstellung einer Mehrheit im Rat der Mitgliedstaaten sollen die künftigen EU-Regeln zudem weiter gelockert werden. Die betroffenen Firmen sollen etwa nicht mehr in ihrer gesamten Lieferkette die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards sicherstellen müssen, sondern nur noch bei ihren direkten Zulieferern. Die Regierungen wollen zudem weniger detaillierte Angaben von den Unternehmen einfordern, strenge Vorgaben soll es nur noch für Lieferketten mit einem besonders hohen Risiko geben.

Die EU-Länder wollen zudem eine bisher vorgesehene EU-weite zivilrechtliche Haftung für die Vorgaben abschaffen. Klagen gegen Unternehmen wegen Verstößen gegen das Gesetz würden damit erschwert. Gerichtsverfahren hingen von der Rechtsprechung im jeweiligen EU-Land ab.

Regeln gelten erst ab Mitte 2028

Der Rat der 27 Mitgliedstaaten muss nun mit dem Europaparlament über die Lockerungen beraten, die Abgeordneten haben dazu noch keine Verhandlungsposition verabschiedet. Ein Aufschub des Gesetzes ist hingegen schon beschlossen: Die ersten Regeln gelten ab dem 26. Juli 2028, ein Jahr später als zuvor geplant.

Sowohl der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) als auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten in den vergangenen Wochen gefordert, das Lieferkettengesetz ganz abzuschaffen. In Berlin sorgte das für Spannungen, Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan und Finanzminister Lars Klingbeil (beide SPD) widersprachen Merz.

Sowohl der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) trotz SPD-Widerstands als auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten in den vergangenen Wochen gefordert, das Lieferkettengesetz ganz abzuschaffen. 

Freude in der Wirtschaftskammer

In Österreich machten Arbeitgeberverbände wie die Industriellenvereinigung von Anfang an gegen den Großteil der Pläne mobil. Kritisch waren auch große Teile der Wirtschaftskammervertreter. So reagierte WKÖ-Handelsobmann Rainer Trefelik am Dienstag unter anderem mit den Worten: "Es ist erfreulich, dass nun auch der Rat die Notwendigkeit erkannt hat, diverse Nachweis- und Berichtspflichten für Unternehmen zu vereinfachen. Denn die bisherigen Bestimmungen zu Lieferkettenrichtlinie & Co würden viele Handelsunternehmen maßlos überfordern."

Enttäuschung bei Gewerkschaft, Umweltorganisationen und Grünen

Sonst kamen aus der Alpenrepublik am Dienstag vorerst nur negative Reaktionen auf die "Deregulierung auf EU-Ebene" und den "nächsten Rückschlag" für das Lieferkettengesetz, wie es etwa die Umweltorganisation Global2000 formulierte. "Ein völlig falsches Signal" ortet auch der WWF. "Denn ein starkes Lieferkettengesetz liegt nicht nur im Interesse von Umweltschutz und Menschenrechten, sondern auch von weitsichtig denkenden Unternehmen", verwies diese Organisation auch auf fragile Lieferketten als Geschäftsrisiko. Enttäuscht zeigten sich auch die Katholische Jungschar mit ihrer Dreikönigsaktion, die Menschenrechtsorganisation Südwind, das Netzwerk Soziale Verantwortung.

"Unter dem Deckmantel von Bürokratieabbau und mehr Wettbewerbsfähigkeit wird das EU-Lieferkettengesetz demontiert, das Unternehmen dazu verpflichtet, etwa bei Zwangs- und Kinderarbeit in ihren Lieferketten genauer hinzuschauen", wurde ÖGB-Ökonomin Miriam Fuhrmann in einer Aussendung zitiert. Der bereits minimale Kreis von betroffenen Unternehmen solle noch weiter reduziert werden, bedauerte sie. Die Anzahl der in Österreich betroffenen Unternehmen würde durch die Umsatz- und Beschäftigtenschwelle noch stärker reduziert. Die eigentlich bereits im Juli 2024 in Kraft getretene Lieferkettenrichtlinie werde stark ausgehöhlt.

Von politischer Seite teilte die Grüne Lena Schilling mit: "Was heute im Rat beschlossen wurde, ist ein Frontalangriff auf den Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards. Die Mitgliedsstaaten machen das Lieferkettengesetz zur leeren Hülle - auf Kosten von Kinderhänden und einer intakten Natur." Die Bande zwischen Macron und Merz habe offenbar schwerer gewogen als der Wille, sich für die Schwächsten weltweit einzusetzen, bedauerte die EU-Abgeordnete in einer Aussendung.

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