Merkel trifft Juncker-Kritiker in Schweden

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel
Die deutsche Kanzlerin trifft heute und morgen in Stockholm Junckers größte Kritiker aus England, Schweden und den Niederlanden.

Heute und morgen wird bei einem "Minigipfel" in Schweden wohl auch die Frage nach dem nächsten EU-Kommissionspräsidenten diskutiert werden. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel trifft am Montagabend in Stockholm mit ihren Amtskollegen aus Schweden, Großbritannien und den Niederlanden zusammen - alles Kritiker von Jean-Claude Juncker. Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt hatte zu dem Treffen geladen, offiziell auf der Tagesordnung stehen Debatten über die Richtung der EU und Arbeitsweise der neuen Kommission.

Vor allem der britische Regierungschefs David Cameron fordert größeren Einfluss der Mitgliedstaaten in der Europäischen Union. Cameron lehnt deshalb Juncker als nächsten Kommissionschef ab: Er gilt ihm als Verfechter einer stärkeren Integration Europas. Cameron soll für den Fall von Junckers Ernennung mit einem EU-Austritt seines Landes gedroht haben. Der britische Außenminister William Hague stellte zuvor im Guardian klar, dass es auch andere "talentierte Kandidaten" für den Posten des Kommissionspräsidenten gebe. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Mittwoch erklärt, sie teile die britischen Vorbehalte nicht.

Grundsätzlich stehen auch Ungarn und Italien Juncker ablehnend gegenüber.

Der neue Kommissionspräsident wird von den Staats- und Regierungschefs der 28-EU-Staaten vorgeschlagen, dann aber vom Europaparlament gewählt. Die EVP wurde zwar stärkste Fraktion, hat aber ebenso wenig wie die Sozialdemokraten eine eigene Mehrheit. In Deutschland unterstützt die SPD Junckers Wahl zum Kommissionschef. Der sozialdemokratische Spitzenkandidat Martin Schulz hatte das Ziel verfehlt, seine Fraktion zur stärksten im Europaparlament zu machen. Bis zum EU-Gipfel Ende Juni soll EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy die Möglichkeiten für eine Einigung auf einen Kandidaten ausloten.

Reinfeldt auch gegen Juncker

Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt hat die Legitimität der Kandidatur von Juncker für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten offen angezweifelt. "Was mich und Schweden angeht, haben wir den Prozess als solchen infrage gestellt", sagte er am Montag der Financial Times. Der Zeitung zufolge würde der schwedische Ministerpräsident die Auswahl des Kommissionschefs lieber den Staats- und Regierungschefs als dem EU-Parlament überlassen. Dass der Luxemburger bei einem Parteitag der konservativen Europäischen Volkspartei in Dublin im März zum Spitzenkandidaten gewählt worden war und die EVP bei der Europawahl Ende Mai die meisten Stimmen holte, rechtfertigt aus Reinfeldts Sicht keinen personellen Automatismus. "Wir halten nichts davon, weil das alle anderen Kandidaten ihrer Aussichten beraubt und eine Vielzahl potenzieller Kommissionspräsidenten ausschließt", sagte er der Financial Times. Wen er persönlich favorisieren würde, sagte Reinfeldt nicht. Seine liberal-konservative Moderate Sammlungspartei gehört ebenfalls der EVP an.

Unterstützung von EVP-Fraktionschef

Der neue Chef der größten Fraktion im Europaparlament, der CSU-Politiker Manfred Weber, hat vergangene Woche bereits dem Luxemburger Jean-Claude Juncker seine Unterstützung zugesagt. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) stehe voll hinter Juncker, sagte Weber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

"Wir müssen jetzt die Zusage einhalten, die wir den Wählern mit unserem Spitzenkandidaten gemacht haben: Er wird der nächste Kommissionspräsident." Weber wies Forderungen des britischen Regierungschefs David Cameron zurück, die auf größeren Einfluss der Mitgliedstaaten in der EU hinausliefen.

Juncker geht in die Offensive

Juncker selbst hat sich im Streit um die Nachfolge von Jose Manuel Barroso an der Spitze der EU-Kommission kämpferisch gegenüber seinem schärfsten Widersacher Cameron gezeigt. Juncker bekräftigte am Donnerstag vor der Fraktion der EVP seinen Anspruch auf den Posten. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen sagte Juncker bei der Sitzung, die hinter verschlossenen Türen stattfand: "Der britische Premierminister hat nicht das Recht, seinen Willen allen anderen aufzuzwingen. Ich will einen fairen Deal mit Großbritannien." Gleichzeitig habe der frühere luxemburgische Premier klar gemacht, dass er eine solche Vereinbarung mit London "nicht um jeden Preis" anstrebe: "Aber ich bin nicht bereit zu kapitulieren", sagte Juncker dem Vernehmen nach.

Auch für Hahn ist Sache klar

Dass der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker heißt, ist auch für EU-Regionalkommissar Hahn klar: "Es gibt ein eindeutiges Wählervotum", sagte Hahn am Freitag in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. "Es hat klare Ansagen im Vorfeld gegeben und daher sollte es auch klare Reaktionen danach geben."

Hahn betonte, es gehe hier um sehr weitreichende, sehr wichtige Personalentscheidungen. "Es hat ein klares Votum gegeben bei der Europawahl. Es hat im Vorfeld eine klare Festlegung gegeben auch der Staats- und Regierungschefs, auch auf den diversen Parteikonventen, dass der Repräsentant, der Spitzenkandidat der stimmenstärksten Partei Kommissionspräsident werden soll. Das ist ja auch in der Folge immer wieder bekräftigt worden von vielen. Es geht aber nicht nur um diese eine Position, es geht um mehrere andere Positionen, und da ist es verständlich, dass das ein bisschen Zeit braucht. Auch in diesem Bereich gilt Qualität vor Geschwindigkeit", betonte der österreichische EU-Kommissar.

Was hatte die Gerüchteküche in den vergangenen Tagen nicht alles aufgetischt: Jean-Claude Juncker werde "sicher nicht" Präsident der EU-Kommission, ließ das Umfeld von Ratspräsident Herman Van Rompuy verbreiten; Luxemburgs Ex-Premier werde sich "aus gesundheitlichen Gründen" zurückziehen, wussten manche Diplomaten zu berichten.

Am Donnerstag ging Juncker selbst in die Offensive: Vor der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament bekräftigte er laut Sitzungsteilnehmern seinen Willen, Kommissionschef zu werden. "Ich bin nicht bereit, zu kapitulieren", sagte Juncker dem Vernehmen nach. Und, an die Adresse von David Cameron, der sich explizit gegen Junckers Bestellung ausgesprochen hat: "Der britische Premierminister hat nicht das Recht, seinen Willen allen anderen aufzuzwingen." Er, Juncker, wolle mit London "einen fairen Deal, weil wir die Briten brauchen, wie sie uns brauchen".

"Schmutzkampagne"

Eine Vereinbarung mit Cameron gebe es aber "nicht um jeden Preis": "Ich mache das nicht zum Preis, mich vor den Briten auf die Knie zu werfen", so Juncker, der auch über eine "Schmutzkampagne" der britischen Presse klagte. Erst am Mittwoch hatte die Boulevardzeitung The Sun Cameron eine deutliche Botschaft zum Brüsseler G7-Treffen mitgegeben: "Sechs Gründe, warum Juncker der gefährlichste Mann in Europa ist", lautete die fette Schlagzeile. Am Rande des G7-Gipfels führte Cameron Gespräche mit Van Rompuy, Frankreichs Präsident Hollande, Kanzlerin Merkel und Italiens Premier Matteo Renzi zur Bestellung der Kommission. Renzi könnte zum Zünglein an der Waage werden: Er hat sich bisher nicht wie seine sozialdemokratischen Kollegen im Rat für Juncker ausgesprochen – für ihn stehen Zugeständnisse in der Wirtschaftspolitik im Vordergrund.

Kann Cameron Renzi auf seine Seite ziehen, wäre im Rat eine Sperrminorität gegen Juncker möglich – dann würde wohl auch Merkel von ihm abrücken. Laut der Kanzlerin sei es am Mittwoch vorrangig um Inhalte für die Arbeit der Kommission gegangen – nicht um Namen.

"Wählen nur Juncker"

Das Parlament bleibt derweil geschlossen hinter Juncker: "Die europäische Demokratie darf sich nicht von Cameron erpressen lassen", sagt ÖVP-Mandatar Othmar Karas. "Wir werden nur Juncker wählen." Darauf legt sich auch SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried fest: "Für die Sozialdemokraten kommt nur Juncker in Frage."

Setzt sich Juncker durch, dürfte neben ihm bald eine Frau an der formal höchsten Position der EU stehen: Die dänische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt wird als neue Ratspräsidentin gehandelt. Als Vertreterin eines Nicht-Euro-Landes wäre sie ein gutes Gegengewicht zu "Mr. Euro" Juncker; ihre Bestellung soll Cameron und andere Juncker-Skeptiker wie etwa Schwedens Premier Reinfeldt umstimmen.

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