Malmström: "Viele Probleme bei TTIP"
Drei Stunden lang wurde Cecilia Malmström am Montag im Handelsausschuss des EU-Parlaments befragt, und immer wieder kamen die Abgeordneten zu einem Thema zurück: Wie hält die designierte Handelskommissarin es mit TTIP, dem Freihandelsabkommen mit den USA (siehe Artikel unten)? Konkret: Wie will sie mit dem umstrittenen Investorenschutz umgehen?
Eine heikle Angelegenheit für Malmström: Die EU-Kommission verhandelt das Abkommen mit den USA, ihr neuer Chef Jean-Claude Juncker will es abschließen, weil er sich Wachstum und Jobs erhofft. Gleichzeitig ist TTIP massiver öffentlicher Kritik ausgesetzt.
Zahlreiche Bedenken
Malmström argumentierte in ihrem Hearing souverän, versuchte auf die Kritiker zuzugehen: „Präsident Juncker und ich sind uns einig, dass es einige problematische Bereiche bei TTIP gibt.“ Dazu zählt Malmström mangelnde Transparenz: Als Handelskommissarin wolle sie Unterlagen vermehrt und schneller veröffentlichen.
Geheimhaltung ist auch ein Faktor beim Investorenschutz: Kritiker warnen, dass mit solchen Klauseln der Gang vor „Geheimgerichte“ ermöglicht wäre, wo Konzerne außerhalb des Rechtsstaats gegen unliebsame Gesetze klagen könnten.
Investitionsschutzklauseln sind bei internationalen Handelsabkommen üblich. Gerade wenn einer der beiden Partner ein nicht so gut entwickeltes Rechtssystem hat, sollen sie sicherstellen, dass Investitionen nicht durch willkürliche Gesetzgebung zunichte gemacht werden und ein unabhängiges Schiedsgericht entscheidet. Zwischen den USA und Europa, meinen Kritiker, sei das nicht notwendig – schließlich handle es sich um zwei höchst entwickelte Rechtssysteme.
Für Unbehagen sorgen Milliarden-Klagen aus der jüngeren Vergangenheit: Der Tabakkonzern Philip Morris hat Australien wegen seiner Gesetze für Zigarettenverpackungen geklagt; Energieriese Vattenfall zieht gegen Deutschland wegen des Atomausstieges vor Gericht.
„Missbrauch abstellen“
„Es ist klar, dass Investitionsschutz derzeit missbraucht wird, weil es zu großen Spielraum gibt, wofür er genutzt werden kann“, sagte Malmström. „Wir müssen klarmachen, wo solche Klagen möglich sind und dass der Gang vor ein Schiedsgericht prinzipiell nur der letzte Ausweg sein kann, wenn eine Angelegenheit nicht vor einem normalen Gericht geregelt werden konnte.“
Das eben erst fertig verhandelte CETA-Abkommen mit Kanada will Malmström nicht ändern, um den Investorenschutz zu streichen („Damit könnte das ganze Abkommen zu Fall kommen.“) Im Gegenteil: Sie sieht CETA als mögliches Vorbild für TTIP. Es sei aber „nicht auszuschließen“, dass TTIP am Ende ohne Investorenschutz beschlossen wird.
Die geplante „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ mit den USA – allgemein als TTIP bekannt – ist für viele Kritiker aus dem linken wie rechten politischen Lager ein rotes Tuch. Sie befürchten, dass Verbraucher- und Umweltschutzstandards in Europa abgesenkt und gesetzliche Regelungen durch Sondergerichte ausgehebelt werden könnten.
Die alte EU-Kommission von José Manuel Barroso hatte diese Vorwürfe stets zurückgewiesen, aber wenig unternommen, um die Zweifel auszuräumen. Wirklich transparent waren die Verhandlungen und die bisherigen Zwischenergebnisse nie. Erst als die deutschen Europagrünen Anfang des Jahres geheime TTIP-Dokumente der EU-Kommission veröffentlichten, kam auf europäischer Ebene Bewegung in die Diskussion.
Worum geht es: Wird der Handel zwischen zwei so großen Wirtschaftsbünden erleichtert, profitieren alle davon. Das Wirtschaftswachstum auf beiden Seiten soll einen Schubs bekommen, neue Arbeitsplätze geschaffen, Preise gesenkt werden. Das zumindest sagen die Befürworter.
Die Gegner warnen unter anderem vor einem Aufbrechen des Konsumentenschutzes und der Arbeitsschutzregelungen in Europa, vor Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und einem massiven Einfluss von Konzernen zulasten demokratischer Gremien.
Offen ist zudem, wie das TTIP – sofern es einmal ausverhandelt ist – in Kraft treten soll: Reicht dazu ein EU-Kommissionsbeschluss, muss das EU-Parlament zustimmen oder müssen das doch auch alle 28 nationalen EU-Parlamente tun?
Mit dem heutigen Montag müssen die Kandidaten für Jean-Claude Junckers neue EU-Kommission auf den heißen Stuhl des EU-Parlaments: Die 27 Politiker - jedes EU-Land schickt einen Vertreter - müssen sich jeweils drei Stunden den Fragen der Mandatare stellen. Einzig Juncker selbst ist durch seine Wahl bereits im Juli ex obligo. Die Kandidaten im Überblick, gereiht nach dem Zeitpunkt ihres Hearings:
29. SEPTEMBER
KARMENU VELLA: Der 64-jährige Malteser soll für die Bereiche Umweltschutz, Meerespolitik und Fischerei zuständig sein. Der Sozialdemokrat war einst Tourismusminister des Insel-Kleinstaats und gilt in der Umweltpolitik noch als unerfahren.
CECILIA MALMSTRÖM: Die 46-jährige Schwedin soll als EU-Kommissarin vom Bereich Inneres wechseln, den sie bis dato in der Kommission Barroso II verantwortet. Die Liberale wird als Handelskommissarin unter anderem für das heiße Eisen des USA-EU-Handelsabkommens TTIP zuständig sein. Ihre Brüssler Karriere hatte Malmström von 1999 bis 2006 als EU-Abgeordnete begonnen, bevor sie schwedische Europaministerin wurde.
NEVEN MIMICA: Der 60-jährige Kroate ist bereits seit dem EU-Beitritt seines Landes 2013 Mitglied der Kommission. Unter Jose Manuel Barroso zeichnet er bis dato für den Verbraucherschutz zuständig. Der Sozialdemokrat soll in Zukunft das Portfolio für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung übernehmen.
GÜNTHER OETTINGER: Der 60-jährige Deutsche hat auch schon Erfahrung als EU-Kommissar, war er doch unter Jose Manuel Barroso für das Ressort Energie zuständig. Nun soll der einstige CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg (2005-2010) Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft werden.
30. SEPTEMBER
CARLOS MOEDAS: Der 44-jährige Portugiese hat eine breite Wirtschaftserfahrung, ist der Sozialdemokrat doch Bauingenieur, Ökonom und nicht zuletzt Politiker. In seiner Heimat war er Staatssekretär unter Ministerpräsident Pedro Passos Coelho und dabei in die Verhandlungen mit der Troika im Rahmen der Eurokrise involviert. Er soll Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation werden.
VYTENIS ANDRIUKAITIS: Der 63-jährige Litauer ist eigentlich Herz-und Gefäßchirurg. Der Sozialdemokrat war in seiner Heimat in den vergangenen beiden Jahren aber als Gesundheitsminister tätig. Andriukaitis, der auch zu den Autoren der neuen Verfassung des baltischen Landes aus 1992 gehörte, soll Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit werden.
DIMITRIS AVRAMOPOULOS: Der 61-jährige Grieche wird in der Kommission von Jean-Claude Juncker die Migration thematisch betreuen. Der einstige Diplomat und Ex-Bürgermeister von Athen war als Mitglied der konservativen Nea Dimokratia schon Tourismus-, Gesundheits-, Verteidigungs- und Außenminister seines Landes.
JOHANNES HAHN: Der 56-jährige Wiener ist schon seit 2010 EU-Kommissar - allerdings für den Bereich Regionalpolitik. Nun wird der einstige ÖVP-Minister für Wissenschaft und Forschung (2007-2010), der auch Chef der kriselnden Wiener Volkspartei war, unter Juncker die Bereiche Nachbarschaftspolitik samt Erweiterung übernehmen.
CHRISTOS STYLIANIDES: Der 56-jährige Zypriot war zunächst Zahnarzt, studierte dann Politikwissenschaft und wurde Regierungssprecher. Bei der vergangenen EU-Wahl wurde er allerdings ins Parlament gewählt, von wo aus der Konservative nun zum Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz aufsteigt.
MAROS SEFCOVIC: Der 46-jährige Slowake ist bereits seit 2009 Mitglied der EU-Kommission und zuletzt für institutionelle Beziehungen und für Verwaltung zuständig. Zuvor war der Diplomat seit dem EU-Beitritt der Slowakei Botschafter seines Landes bei der EU. Unter Juncker soll der Sozialdemokrat für Verkehr und Transport verantwortlich zeichnen.
1. OKTOBER
CORINA CRETU: Die 47-jährige Rumänin gehört für die Sozialdemokraten seit der Aufnahme ihres Landes in die Europäische Union 2007 dem EU-Parlament an. Als Kommissarin soll sie thematisch Johannes Hahn nachfolgen und den Bereich Regionalpolitik übernehmen.
MARIANNE THYSSEN: Die 58-jährige Belgierin wurde als letzte Kandidatin für die Kommission benannt. Die Christdemokratin aus Flandern saß bereits seit 1991 im Europäischen Parlament als Abgeordnete. Unter Juncker wird sie nun für die Bereiche Soziales, Beschäftigung und den Statistikdienst Eurostat zuständig sein.
JONATHAN HILL: Der 54-jährige Brite soll als Kommissar - für Kritiker überraschend - die Sektoren Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion verantworten, allerdings ohne die Aufsicht über die Banker-Gehälter. Der ehemalige Fraktionschef der konservativen Torys im britischen Oberhaus gilt als europaskeptisch, aber für die europäischen Partner noch als akzeptabel.
VERA JOUROVA: Die 50-jährige Tschechin war seit Jänner als Liberale Ministerin für regionale Entwicklung in der Regierung von Bohuslav Sobotka. Auf europäischer Ebene wird Jourova nun hingegen für Konsumenten und Justiz verantwortlich. Dabei hat sie als Neuerung auch die Aufsicht über die Bankergehälter über, die nicht mehr dem für Finanzmärkte zuständigen britischen EU-Kommissar Jonathan Hill obliegt.
TIBOR NAVRACSICS: Der 48-jährige Ungar gilt als der vielleicht umstrittenste Kandidat für die neue EU-Kommission. Der designierter Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Bürgerschaft war in seiner Heimat als Mitglied der rechtskonservativen Fidesz-Partei von Regierungschef Viktor Orban der Architekt mehrerer umstrittener Gesetze.
MIGUEL ARIAS CANETE: Der 64-jährige Spanier gilt zwar als einer der erfahrensten Europapolitiker der konservativen Volkspartei (PP), gehörte er doch von 1986 bis 1999 dem Europaparlament an und wechselte - nach mehreren Jahren als spanischer Landwirtschaftsminister - heuer erneut in die EU-Volksvertretung. Nun soll er als Kommissar allerdings die Klimapolitik verantworten, was von linker Seite im Vorfeld für Kritik sorgte, besaß Canete doch Ölaktien.
2. OKTOBER
PIERRE MOSCOVICI: Der 56-jährige Franzose hat sich auf europäischem Parkett einen Namen gemacht, war er doch lange Abgeordneter im Europaparlament und von 1997 bis 2002 Europaminister der linken Regierung von Lionel Jospin. Dass er jedoch von 2012 bis 2014 unter Francois Hollande Finanzminister war und dabei der Austeritätspolitik der EU kritisch gegenüberstand, beunruhigt nun manche - soll Moscovici doch Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll werden.
PHIL HOGAN: Der 54-jährige Ire hat bisher im Ausland noch weniger Erfahrung als viele seiner künftigen Kollegen gesammelt. Er war in seinem Heimatland allerdings bereits Staatsminister im Finanzministerium und Minister für Umwelt, Gemeinschaftswesen und Lokalverwaltung. Der Konservative soll als Kommissar nun für Landwirtschaft und Ländliche Räume verantwortlich werden.
KRISTALINA GEORGIEWA: Die 61-jährige Bulgarin hat vor ihrem Wechsel in die Barroso-Kommission 2010 als Vizepräsidentin der Weltbank gearbeitet. Die konservative Wirtschaftsexpertin wechselt nun die Bereiche und ist künftig nicht mehr für internationale Zusammenarbeit und humanitäre Hilfe, sondern für den Haushalt und Personal zuständig, sie wird eine der Vizepräsidentinnen.
ELZBIETA BIENKOWSKA: Die 50-jährige Polin ist eine gute Bekannte des künftigen Ratspräsidenten Donald Tusk, war sie doch von 2007 bis 2013 Ministerin für Regionalentwicklung unter ihm als Regierungschef. Seit Ende 2013 zeichnete sie als Ministerin für Infrastruktur und Entwicklung zuständig. Sie wechselt nun mit ihrem langjährigen Chef nach Brüssel und wird als EU-Kommissarin für Binnenmarkt, Industrie und Unternehmen zuständig sein.
MARGRETHE VESTAGER: Die 46-jährige Dänin ist so etwas wie der Sebastian Kurz ihres Landes. Zuletzt war Vestager Ministerin für Wirtschaft und Inneres im Kabinett der Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt. Zuvor hatte sie aber bereits als 29-Jährige den Job als Bildungsministerin übernommen - als jüngste dänische Ministerin aller Zeiten. Die Durchstarterin soll nun Wettbewerbskommissarin werden.
6. OKTOBER
VALDIS DOMBROVSKIS: Der 43-jährige Lette regierte mit knapp fünf Jahren Amtszeit bis 2013 Lettland so lange wie kein anderer Regierungschef seit der Unabhängigkeit des Landes 1991. Der nüchtern-pragmatische Konservative, hatte sein Land mit hartem Reformkurs Euro-tauglich gemacht. Dombrovski soll deshalb folgerichtig als Vizepräsident der Kommission das Ressort Euro und sozialer Dialog verantworten.
ALENKA BRATUSEK: Die 44-jährige Slowenin kam nach einer Korruptionsaffäre ihres Amtsvorgängers 2013 kurzzeitig zum Posten der Regierungschefin ihres Landes. Im Mai erklärte die Finanzexpertin aber wieder den Rückzug, nachdem sie parteiintern entmachtet worden war. Nun wird Bratusek Vizepräsidentin der Kommission und verantwortlich für die Energieunion.
ANDRUS ANSIP: Der 57-jährige Este regierte als Liberaler bis zu seinem Rückzug im März fast neun Jahre den nördlichsten der drei baltischen Staaten. Der als kühler Technokrat geltende Politiker führte sein Land durch Rezession und Krise in die Eurozone. Als Vizepräsident soll er in Hinkunft den digitalen Binnenmarkt überhaben.
FEDERICA MOGHERINI: Die 41-jährige Italienerin hat zuletzt einen rasanten Aufstieg von der Außenministerin ihres Landes zum Pendant der Außenbeauftragten der Union in Brüssel erlebt. Die Sozialdemokratin hat sich in ihrer Heimat als Expertin für Verteidigung, Europa und internationale Fragen etabliert, was ihr als Vizepräsidentin mit dem Außenbereich als Thema nun zupasskommen dürfte.
7. OKTOBER
JYRKI KATAINEN: Der 42-jährige Finne war Ministerpräsident seines Landes - bis er im April seinen Rücktritt als Regierungschef und Vorsitzender der konservativen Nationalen Sammlungspartei ankündigte. Schon nach der Europawahl ersetzte Katainen übergangsweise seinen Landsmann Olli Rehn als EU-Währungskommissar. Als Vizepräsident wird er nun aber dauerhaft für Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit zuständig sein.
FRANS TIMMERMANS: Der 53-jährige Niederländer war bis dato niederländischer Außenminister. Als "Erster Vizepräsident" soll er nun zur rechten Hand von Kommissionspräsident Juncker werden. Darüber hinaus hat er für Bürokratieabbau, interinstitutionelle Fragen und Grundrechte die Oberhoheit - und das in vielerlei Zungen, spricht der Sozialdemokrat doch neben seiner Muttersprache fließend Russisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch.
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