Streit über Budget, Kompromiss beim Klima

Frankreich, Italien, Österreich: Kein Land will Budgetprobleme eingestehen oder gar Brüssler Ermahnungen akzeptieren. Die neuen Klimaziele treten da in den Hintergrund.

Streit ums Geld hat den EU-Gipfel überschattet. Das gefährlich hohe Budgetdefizit Frankreichs, die Spannungen mit Rom und überraschende Nachzahlungsforderungen an Großbritannien sorgten für heftige Debatten.

Mit einiger Wut im Bauch dampfte Briten-Premier David Cameron aus Brüssel ab: Wegen einer Neuberechnung und aktueller Konjunkturdaten ändern sich rückwirkend die Beiträge zum EU-Budget. Österreich soll 300 Millionen Euro zurückbekommen, während Großbritannien zwei Milliarden nachschießen soll.

"Ich werde das nicht zahlen", sagt Cameron. Er fordert ein Sondertreffen der Finanzminister. Österreichs Kanzler Werner Faymann hat für Camerons Verhalten begrenzt Verständnis: "Man kann sich für die Zukunft ein besseres Modell überlegen. Aber im Nachhinein die Regeln ändern zu wollen, das geht einfach nicht."

Streit ums Budget

Hart zur Sache ging es auch zwischen Italiens Premier Matteo Renzi und Noch-Kommissionschef José Manuel Barroso. Renzi fing sich eine Rüge ein, weil er den "blauen Brief" der Kommission zum italienischen Budget veröffentlicht hatte. Derlei Schreiben seien "streng vertraulich", mahnte Barroso. Renzis Konter: "Es ist Zeit für totale Transparenz. Ich denke, wir werden Daten zu allem veröffentlichen, was von diesen Palästen (den EU-Institutionen) ausgegeben wird. Wir werden einigen Spaß haben." Die Budget-Rüge aus Brüssel wischte Renzi vom Tisch: "Das italienische Budget stellt kein Problem dar."

Auch Österreich hat eine Budget-Rüge erhalten; sie falle jedoch harmlos aus, wie Finanzminister Hans Jörg Schelling dem KURIER (siehe rechts) versicherte. Dennoch wehrt sich Faymann gegen eine zu strenge Auslegung der Budgetregeln: "Man kann nicht immer nur Ja und Danke zu allem sagen, was jemand in der Kommission, in der Europäischen Union, kommentiert, sagt, will und an Rechenmodellen vorlegt."

Maximale Flexibilität

Schützenhilfe gibt es von Frankreichs Präsident Francois Hollande. Er versicherte zwar, sein Land sei den EU-Regeln strikt verpflichtet. Gleichzeitig fordert er "maximale Flexibilität" bei deren Auslegung. In Diplomatenkreisen hieß es, zwischen Berlin und Paris werde schon an einem Deal gearbeitet, wie man das französische Budget (das Defizit soll 4,4 Prozent betragen) mit kleinen Änderungen durchgehen lassen könne.

Ein erfreuliches Gipfelergebnis gibt es: Die EU verdoppelt ihre Hilfe für den Kampf gegen Ebola auf mindestens eine Milliarde Euro. 107 Millionen Euro davon kommen aus Deutschland. Österreich steuert eine Million bei.

Finanzminister Hans Jörg Schelling hält in seinem Antwortschreiben an EU-Wirtschaftskommissar Jyrki Katainen, das dem KURIER vorliegt, fest, dass Österreich an seinem Budgetkurs festhält. Dieser sieht ein (strukturelles) Nulldefizit 2016 vor, aber eine höhere Neuverschuldung 2015 – wegen der Wirtschaftsflaute. Für den strikten Vollzug im heurigen Jahr sei Österreich sogar gelobt worden, sagte Schelling im KURIER-Gespräch.
Da im März nächsten Jahres eine Steuerreform beschlossen werden soll, führe er derzeit „intensive Gespräche“ mit allen Ressortkollegen über „zusätzliche Maßnahmen für 2015“, schreibt Schelling an Katainen.

Er hält an einer Steuerreform 2016 fest. Sollten einzelne Schritte schon 2015 umgesetzt werden können, müsse dies geprüft werden. Aber: „Im beschlossenen Budget für 2015 ist kein Euro für eine Steuerreform vorgesehen. Ich habe mich an die Gesetze zu halten“, sagt Schelling zu einer rascheren Entlastung. Österreichs Wachstum für 2015 von 1,2 bis 1,3 Prozent liege ohnehin „im oberen Drittel der EU“.

Die von Katainen geforderten Erklärungen für das etwas höhere Defizit Österreichs im kommenden Jahr werde er am 8./9. November beim nächsten Finanzministertreffen in Brüssel abgeben, sagt Schelling.

Die Staats- und Regierungschefs haben sich in Brüssel auf Klimaziele bis 2030 geeinigt. Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was schreiben die neuen EU-Klimaziele vor?

Geeinigt hat man sich auf ein 40-27-27-Paket: Die Emissionen von Treibhausgas sollen bis 2030 um 40 Prozent (im Vergleich zu 1990) reduziert werden. Um das zu erreichen, sollen die vom Emissionshandel betroffenen Wirtschaftszweige die Ausstöße im Vergleich zu 2005 um 43 Prozent senken; in anderen Bereichen wie Verkehr, Landwirtschaft und private Haushalte soll das Minus 30 Prozent betragen.

Der Anteil der Erneuerbaren Energien soll bis 2030 auf mindestens 27 Prozent steigen – dieses Ziel gilt für die EU insgesamt, es gibt keine verbindlichen nationalen Ziele.

Die Effizienzsteigerungen (Dämpfen des zusätzlichen Verbrauchs) beim Energieverbrauch sollen ebenfalls 27 Prozent ausmachen.

Wie (wenig) ambitioniert sind die neuen Ziele?

Einerseits ist Europa damit weiterhin Vorreiter auf globaler Ebene. Andererseits hat man sich in der EU im Rahmen dessen, was im Gespräch war, nur auf eine Minimal-Variante geeinigt. Die EU-Kommission hatte mit 40-30-30 etwas höhere Ziele vorgeschlagen. Die jeweils 27 Prozent waren in der Debatte stets die Untergrenze – und bei diesem kleinsten gemeinsamen Nennen ist es dann auch geblieben. Kanzler Werner Faymann sprach von einem "guten Zeichen", Österreich hätte sich aber "ein bisschen mehr vorstellen können". Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner nennt die Ziele "ambitioniert"; Umweltminister Andrä Rupprechter sagt, er hätte sich "mehr erwartet", vor allem wären ein 30-Prozent-Ziel bei den Erneuerbaren ein "wichtiges Signal" für die Energiewende gewesen.

Was sagen Industrie und Umweltaktivisten dazu?

Niemand ist mit dem Kompromiss zufrieden: Wirtschaftskammer-Boss Christoph Leitl spricht von "einseitigen" Klimazielen, durch die aus Sicht der Industrie "Kostendruck und Abwanderungsgefahr" steigen. Global 2000 kritisiert hingegen den "Minimalkompromiss" als "Kniefall vor der Industrie". Die Grünen sprechen von einem "schweren Rückschlag" für den Klimaschutz.

Wie fix und verbindlich sind die EU-Klimaziele?

Verbindliche nationale Ziele gibt es nur bei der Senkung der CO2-Emissionen: Die Staaten müssen zwischen 0 und 40 Prozent einsparen. Die Regierungschefs haben aber eine Überprüfungsklausel eingebaut: Nach der Weltklimakonferenz in Paris Ende 2015 sollen die Klimaziele neu bewertet werden. Sie sollen nicht gesenkt werden, könnten aber erhöht werden, falls etwa USA und China sich in Paris zu ambitionierteren Zielen verpflichten. Als weitere Hintertür hat sich der Rat vorbehalten, das Thema wieder aufzugreifen, auch wenn die Kommission bereits mit Gesetzgebung und Umsetzung begonnen hat – das ist de facto ein Vetorecht für die Staats- und Regierungschefs.

Gibt es finanzielle Hilfe für ärmere Staaten?

Ja – das war die Voraussetzung für die Zustimmung einiger Osteuropäer. Staaten mit schwächerer Wirtschaftsleistung sollen länger als geplant kostenlose Verschmutzungsrechte erhalten und weiters vom Verkauf anderer Emissionszertifikate profitieren. Das kommt u.a. Bulgarien, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Rumänien und der Slowakei zugute. Es wird einen Fonds für Projekte zur Erneuerung der Energiesysteme in ärmeren Staaten geben.

Die Debatte über das Sonderklagsrecht für Investoren im Rahmen des Freihandelsabkommen wird immer heftiger.

Bundeskanzler Werner Faymann ist entschieden gegen Sonderklagsrechte für Investoren. "Die EU verfügt über hochentwickelte Rechtssysteme, daher sind solche Sonderklagsrechte für Investoren nicht notwendig". Das steht in einem Brief vom 8. Oktober an Noch-Kommissionspräsident Barroso, seinen Nachfolger Juncker, an Ratspräsident Van Rompuy, den neuen Ratspräsidenten Tusk und Parlamentspräsident Schulz.

Das Freihandelsabkommen mit den USA, aber auch der bereits fertig verhandelte Deal mit Kanada, sieht Sonderklagsrechte für Konzerne vor, mit denen diese unter dem Vorwand des Investitionsschutzes Staaten zwingen könnten, ihre Umwelt- und Sozialstandards zu senken. Bei den vorgesehenen Schiedsgerichten wäre die Öffentlichkeit ausgeschlossen und es gäbe auch keine Berufungsmöglichkeiten.

Reger Briefwechsel

Die Befürworter eines Schiedsgerichtes haben am 21. Oktober ebenfalls einen Brief geschrieben, nämlich an die neue Handelskommissarin Cecilia Malmström. Der Brief liegt dem KURIER vor.

14 EU-Minister (unter anderem aus Tschechien, Dänemark, Finnland, Spanien, Großbritannien, Kroatien, Schweden) verlangen von der Kommission, das Abkommen rasch zu verhandeln. "Die Sorgen über TTIP basieren auf Missverständnissen", heißt es in dem Brief.

Hohe Kommissionsbeamte der Generaldirektion "Handel" schlagen Malmström angeblich vor, auf das umstrittene Schiedsgerichtsverfahren zum Schutze von Investoren zu verzichten.

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