Der EU fehlt Geld für Flüchtlinge

Vor dem EU-Gipfel appelliert die Kommission an säumige Regierungen, versprochene Mittel rasch zu überweisen.

Händeringend steht Frans Timmermans, Erster Vizepräsident der EU-Kommission, am Rednerpult und richtet via Presse einen Appell an die Regierungschefs, mehr für die Lösung der Flüchtlingskrise zu tun. Vor allem die milliardenschweren Finanzhilfen müssten rasch fließen und Experten für Hotspots entsendet werden. All das wurde beim letzten Flüchtlingsgipfel am 23. September von den EU-Granden versprochen, passiert ist seither aber kaum etwas. "Jetzt müssen Taten folgen", ermahnte Timmermans.

Für Österreich hatte er Lob übrig. "Österreich schickt 100 Beamte. Das ist schon beachtlich". Besonders dramatisch sei es, dass Geld für die Kooperation mit der Türkei fehle, sagte der Vizepräsident, bevor er Mittwochnachmittag mit Erweiterungskommissar Johannes Hahn nach Ankara flog, um einen Aktionsplan mit der Türkei zu verhandeln.

Fonds für Afrika

Anstelle der zugesagten 1,8 Milliarden Euro für den Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika zur Bekämpfung von Fluchtursachen seien nur einige Millionen zusammengekommen. Spanien, Deutschland und Luxemburg hätten bislang Mittel zugesagt. Wie viel Österreich zahlt, ist noch unklar. Kolportiert werden 30 Millionen Euro. Sie könnten aus dem Topf humanitäre Hilfe und dem Auslandskatastrophenfonds kommen. Auch für das UN-Flüchtlingshilfswerk und das Welthungerprogramm, für das es eine weitere Milliarde Euro der Kommission gibt, sei man weit vom Ziel entfernt. Als Antwort auf die Syrien-Krise hatte die Kommission einen Syrien-Treuhandfonds vorgeschlagen, der mit mindestens einer Milliarde Euro gefüllt werden soll. Die Hälfte, also 500 Millionen Euro, sollen aus dem EU-Budget kommen, die andere Hälfte von den Mitgliedstaaten.

Hahn erinnerte die EU-Regierungen an ihre Finanzzusagen in der Flüchtlingskrise. "Anderenfalls wird es nicht möglich sein, die Lage in der Region um Syrien zu stabilisieren", warnte Hahn.

Die Türkei ist das Schlüsselland, um den Exodus von Flüchtlingen nach Europa zu stoppen. Beim EU-Gipfel heute, Donnerstag, wird sich alles um Geld und die Türkei drehen. Eine Milliarde Euro für die Versorgung von Flüchtlingen soll das Land für 2015 und 2016 von der EU bekommen. Im Gegenzug werden Fortschritte bei der Visa-Liberalisierung für Türken in Aussicht gestellt. Die Türkei soll weiters als sicherer Drittstaat eingestuft werden, so wie alle anderen EU-Kandidaten.

Dublin-System

Beim EU-Gipfel dürfte es auch Streit um eine Reform der Dublin-Regeln geben, dem zentralen Prinzip des europäischen Asylsystems. Es schreibt vor, dass derjenige Staat für einen Asylantrag zuständig ist, wo der Bewerber erstmals den Boden der EU betreten hat. "Es gibt starke Gründe für eine Revision von Dublin", sagte Timmermans. "Als Dublin zustande kam, war die Lage komplett anders." In der Praxis halten sich einige Staaten nicht mehr an die Regeln. Konkreter sollen beim Gipfel auch Pläne für den Außengrenzschutz vereinbart werden. Frontex soll neue Kompetenzen bekommen und Flüchtlinge, die kein Recht auf Asyl haben, sofort in ihre Herkunftsländer überstellen. Von einem integrierten Managementsystem für die Außengrenze ist die Rede. Eines kann sich die Kommission aber abschminken: eine türkisch-griechische Küstenwache wird es nicht geben. Athen sagt "Nein".

KURIER: Herr Wieser, soll es eine Steuer für Flüchtlinge geben?
Thomas Wieser: Steuern sind Sache der jeweiligen Nationalstaaten, und es gab und gibt keine Diskussion zur Einführung einer solche Abgabe auf EU-Ebene. Erfolgreiche Integration wird mittelfristig wachstumsfördernd wirken.

Österreich will, dass Flüchtlingskosten bei den Defizitkriterien berücksichtigt werden. Wie beurteilen Sie das?
Die Kommission wird sich in den nächsten Wochen eine Meinung bilden. Aus politischen Gründen ist es in meinen Augen vernünftig, wenn man für 2015 und 2016 eine Sonderbehandlung für Kosten der Flüchtlingsintegration findet. Eine Dauermaßnahme ist das sicher nicht. Dies kann umso leichter erfolgen, je mehr sich ein Land an fiskalische Empfehlungen der Kommission und Euro-Gruppe gehalten hat. Für die Kommission wird es daher umso schwieriger, zusätzliche Abweichungen zu genehmigen, wenn das Land schon vorher den Empfehlungen nicht gefolgt war.

Werden Österreichs Flüchtlingsausgaben berücksichtigt?
Ich denke, dass eine gewisse Berücksichtigung der Kosten der Flüchtlingsaufnahme und -integration möglich sein wird. Österreich hat kein übermäßiges Defizit, hat jedoch nicht den von der Kommission empfohlenen budgetären Anpassungspfad eingeschlagen.

Wie kann Österreich mehr Wachstum schaffen?
Im EU-Vergleich liegt Österreich im guten Mittelfeld. Österreich und die EU laufen aber Gefahr, den Anschluss an die Wachstumspole zu verlieren. Das liegt auch daran, dass unsere Volkswirtschaften immer weniger Innovation erzeugen. Das erklärt teilweise die nachhaltige Schwäche privater Investitionen und der gesamtwirtschaftlichen Produktionsentwicklung. Wenn Bedingungen für private Investitionen nicht stimmen, wird es nicht gelingen, unser Wachstumspotenzial auf ein höheres Niveau als die derzeitigen 1 bis 1,5 % des BIP zu heben. Ändern muss sich auch die Struktur öffentlicher Ausgaben.

Was heißt das konkret?
Ein rascher Abbau, vor allem bei Pensionsausgaben, und Umschichtung in Bildung, Forschung, Innovation und aktivierende Arbeitsmarktpolitik. Das sind die wahren Prioritäten. Österreich müsste das Ziel formulieren, wo es 2025 sein will. Das haben auch andere Länder, etwa Schweden, getan.

Sie haben die griechische Schuldenkrise hautnah erlebt. Schafft es die Regierung Tsipras II?
Griechenland hat nicht nur ein Finanzproblem, sondern braucht tief greifende Veränderungen der Verwaltung und ein neues Vertrauen der Bürger in den Staat, damit auch entsprechende Steuern gezahlt werden. Bei den Verhandlungen über das dritte Hilfspaket im Juli bestand der Eindruck, dass Tsipras den absoluten Willen hat, dem Land eine neue Orientierung zu geben.

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