EU einig: Zehn Maßnahmen gegen afrikanische Migration
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich bei ihrem Gipfel in Malta auf eine gemeinsame Strategie im Umgang mit der Flüchtlingskrise im zentralen Mittelmeer verständigt. Die 28 EU-Staaten vereinbarten zehn "Prioritäten" zur Unterstützung des nordafrikanischen Transitlandes Libyens, wie aus einer am Freitag veröffentlichten Erklärung hervorgeht.
Die folgenden Punkte lassen sich in der Erklärung finden:
- Die Unterstützung der libyschen Küstenwache mit Training und Equipment, Operation SOPHIA soll ausgebaut werden
- Zerschlagung des Geschäftsmodells und der Routen der Menschenschmuggler vorantreiben
- Unterstützung der lokalen Unterkünfte in Libyen, speziell in den Küstenregionen
- Aufbau und Verbesserung der Bedingungen in Libyen für Migranten – in Absprache mit dem UN-Flüchtingshilfswerk UNCHR
- Weitere Unterstützung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) für die freiwillige Rückkehr von Migranten
- Start von Kampagnen in Libyen, um die Menschen über die Flucht aufzuklären
- Der Druck an Libyens Grenzen soll reduziert werden mit Unterstützung der Nachbarstaaten
- Beobachtung alternativer Flüchtlingsrouten, Überwachung soll mithilfe aller beteiligten Staaten ausgebaut werden.
- Unterstützung individueller Hilfe von EU-Mitgliedsstaaten an Libyen
- Der Dialog und die Kooperation soll verbessert werden, um die Küstenwache bei ihrer Arbeit zu unterstützen
Es wurde auch der Einsatz finanzielle Mittel zur Stabilisierung des Bürgerkriegslandes Libyen beschlossen. "Diese Anstrengungen sind heute wichtiger denn je", heißt es in einer Erklärung, die die Regierungen am Freitag bei ihrem Treffen im maltesischen Valletta beschlossen. Die von den UN unterstützte Einheitsregierung müsse so gestärkt werden, dass sie die Kontrolle über das Land und die See erhalte. Die EU will 200 Millionen Euro bereitstellen und etwa Mitarbeiter der Küstenwache ausbilden.
Die Hilfen für Libyen, aber auch für Tunesien oder Ägypten sollen die Migration über das Mittelmeer verringern, aber gleichzeitig die Lage der Flüchtlinge und Migranten in Nordafrika verbessern.
Die Deklaration der Staats- und Regierungschefs sagt eine verstärkte Hilfe bei Ausbildung und Ausrüstung der libyschen Küstenwache zu, um wirksamer gegen Schmuggler auf der Route von Libyen nach Italien vorzugehen. Zudem sollen internationale Organisationen dabei unterstützt werden, die Zustände in libyschen Flüchtlingslagern zu verbessern. Die freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen in ihre Heimat soll gefördert und der Grenzschutz zu Libyens Nachbarländern verstärkt werden.
Italien hatte bereits am Donnerstagabend eine Vereinbarung mit der libyschen Einheitsregierung in der Flüchtlingskrise geschlossen. Libyen wurde dabei Geld, die beschleunigte Ausbildung der libyschen Küstenwache und Ausrüstung versprochen. Kurzfristig wurde in die Erklärung ein Verweis darauf aufgenommen.
Aufnahmelager in Libyen
Vereinbart wurden "vorübergehende Aufnahmelager in Libyen unter ausschließlicher Kontrolle des libyschen Innenministeriums". In sie sollen Flüchtlinge zur Abschiebung in ihre Heimatländer oder bei einer freiwilligen Rückkehr gebracht werden. Finanziert werden sollen sie zunächst durch Italien und gegebenenfalls später auch durch EU-Gelder.
Im vergangenen Jahr waren 181.000 Flüchtlinge in Italien eingetroffen, so viele wie nie zuvor. 90 Prozent kamen über Libyen. Die EU fürchtet ab dem Frühjahr einen neuen starken Anstieg der Flüchtlingszahlen über diese Route. Nach Angaben von EU-Vertretern gibt es Schätzungen, wonach derzeit 300.000 bis 350.000 Flüchtlinge in dem nordafrikanischen Land auf die Überfahrt nach Europa warten.
Vom heutigen EU-Gipfel in Valletta solle das Signal ausgehen, dass Europa seinen Außengrenzschutz ernst nimmt und nach der Westbalkanroute auch die zentrale Mittelmeerroute dicht macht. Vor dem Hintergrund der in diesem Jahr bevorstehenden Wahlen in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland und vielleicht auch in Italien und Österreich, sowie dem befürchteten Aufstieg der Rechtspopulisten, sollte der Gipfel vor allem der Bevölkerung klar machen, dass die EU die Migrationskrise in den Griff bekommt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker haben vor Beginn des Gipfels an die Einheit der Europäer appelliert. "Europa hat sein Schicksal selbst in der Hand", sagte Merke am Freitag.
Unterschiedliche Handhabung von Trump
Je deutlicher man sich über seine Rolle in der Welt klar sei, desto besser könne man die transatlantischen Beziehungen pflegen, meinte Merkel vor dem Gipfel. "Deshalb steht für mich hier das Sprechen über Europa im Vordergrund und nicht das Sprechen über andere Teile der Welt", sagte sie auf eine Frage nach Trump. Andere Töne hatte zuvor österreichs Bundeskanzler Christian Kern angeschlagen. Dieser hatte Trump scharf kritisiert.
Frankreichs Präsident François Hollande warnte, Europa solle sich bei der militärischen Verteidigung nicht allein auf die von den USA dominierte NATO verlassen. "Wer weiß, was der amerikanische Präsident wirklich in Hinsicht auf die transatlantische Allianz und die Lastenteilung will", sagte Hollande. EU-Staaten wie Polen und Ungarn warnte Hollande davor, eine enge Bindung an die USA der europäischen Zusammenarbeit vorzuziehen. "Staaten sollten daran denken, dass ihre Zukunft zuallererst in der Europäischen Union liegt, als zu denken, dass sie in den bilateralen Beziehungen mit den USA liegt", sagte er. "Es gibt keine Zukunft mit Trump, wenn man sie nicht gemeinsam definiert."
Juncker mahnte Geschlossenheit an. Er habe den Eindruck, dass die US-Regierung Europa nicht verstehe. Die EU müsse sich selbst auf die wesentlichen Punkte der weiteren Entwicklung verständigen. "Es gibt einige, die ausbüxen wollen", sagte er, Namen nannte er nicht.
Großes Thema: Migration aus Afrika
Die 28 EU-Regierungen wollen am Freitag neue Maßnahmen gegen die illegale Migration aus Afrika beschließen. Zunächst geht es darum, wie der Flüchtlingszuzug über die zentrale Mittelmeerroute begrenzt werden kann. Merkel setzt dabei auf eine Stärkung der libyschen Einheitsregierung, die unter anderem beim Küstenschutz unterstützt werden soll. "Die Situation der Flüchtlinge ist dramatisch in Libyen", sagte sie. Deshalb müssten, ebenso wie im Abkommen mit der Türkei, die Lebensbedingungen der Migranten im Transitland verbessert und der Menschenschmuggel eingedämmt werden. Dies werde in Libyen in Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geschehen.
Harald Vilimsky, EU-Parlamentarier der FPÖ, gehen die Überlegungen nicht weit genug. Er forderte, aufgegriffene Menschen dorthin zurückzubringen, wo sie herkommen. Um das zu unterstützen, brauche man sichere Zonen in Form von Aufnahmelagern in Nordafrika, etwa in Libyen. "Unerwünschte Migranten sollen gar nicht erst nach Europa kommen", so Vilimsky, der der EU unterstellte, das Schleppergeschäft zu unterstützen.
Kritik an derartigen Gedankengängen kommt von NGOs. "Die EU stellt die Realität in Libyen falsch dar: Das Land ist kein sicherer Ort für Schutzsuchende. Menschen in Libyen festzuhalten oder sie dorthin zurückzuschicken führt die Grundwerte der EU - Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit - ad absurdum", so Arjan Hehenkamp, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen (MSF) . Die Bedingungen für Geflüchtete in Libyen seien unmenschlich.
Menschen auf der Flucht
Nach Einschätzung des Leiters des Europäischen Asylunterstützungsbüros (EASO), Jose Carreira, ist die Europäische Union in Sachen Migration für heuer gerüstet. Es werde hart daran gearbeitet, "um vom Krisenmodus in ein zukunftsfähigeres Asyl- und Migrationssystem zu wechseln", sagte Carreira. Mit all den Anstrengungen erwarten "wir ein ruhigeres" 2017. 2015 hatten laut dem EASO-Chef mehr als 1,2 Millionen Menschen in Europa Asyl beantragt. Seitdem gehe die Anzahl langsam aber stetig zurück. So waren es Carreiras Angaben nach 2016 um etwa 100.000 weniger. Und die jüngsten Zahlen von Jänner 2017 seien deutlich niedriger als im Vorjahresvergleich.
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger fordert einen Ausgleich von EU-Ländern, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. "Wenn denn schon die Quote nicht wie von uns erhofft umsetzbar ist, dann müssen diese Länder in anderer Form mehr tun", sagte Oettinger am Freitag dem Deutschlandfunk. Dies könne etwa beim Grenzschutz geschehen. "Jeder muss etwas bringen." Gleichzeitig äußerte er Verständnis dafür, dass manche Länder ihre Quoten nicht erfüllen.
Griechenlands Regierung hat die EU-Kommission wiederum aufgefordert, die Verpflichtungen der EU-Staaten zur Übernahme von Flüchtlingen aus dem Land durchzusetzen. "Wir fordern, dass Europa sein Versprechen endlich erfüllt", sagte der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas, der Welt. Jedes Land müsse dazu verpflichtet werden, mindestens 50 Prozent seiner Quote zu erfüllen. "Man kann nicht EU-Mitglied sein und die Rechte in Anspruch nehmen, ohne die dazu gehörigen Pflichten zu erfüllen." Griechenland wartet auf die im Herbst 2015 zugesagte Verteilung von insgesamt 63.300 Flüchtlingen.
Einen Tag vor dem EU-Sondergipfel haben Italien und die libysche "Regierung der nationalen Einheit" eine Vereinbarung getroffen, um die Migrationsbewegung über das Mittelmeer einzudämmen und dem Schlepperwesen das Handwerk zu legen. Die wesentlichen Punkte der Vereinbarung sind im Folgenden aufgelistet:
Beide Seiten bekräftigen in der Vereinbarung, "ihre Entschlossenheit zur Zusammenarbeit um dringende Lösungen in der Frage zu irreguläre Migranten zu finden, die aus Libyen über das Meer nach Europa gelangen". Die Initiativen dieser Kooperation "starten im Hinblick auf Unterstützung von Sicherheits- und Militäreinrichtungen" in Libyen.
Italien werde auch "Unterstützung und Finanzierung für Wachstumsprogramme in den Regionen, die von irregulärer Einwanderung betroffen sind", bereitstellen. Dabei gehe es um verschiedenen Sektoren wie erneuerbare Energien, Infrastruktur, Gesundheit, Verkehr, Entwicklung von Humanressourcen, Bildung und wissenschaftliche Forschung".
"Technische und technologische Unterstützung" erhält die von der UNO und der EU anerkannte Regierung unter Ministerpräsident Fayez al-Sarraj von Italien auch für jene "Einrichtungen, die für die irregulärer Einwanderung verantwortlich sind, die von der Grenz- und Küstenwache des Verteidigungsministeriums repräsentiert werden".
Die "temporär eingerichteten Flüchtlingslager in Libyen, die ausschließlich unter der Kontrolle des libyschen Innenministerstehen stehen", werden "unter Beachtung relevanter Standards und Verwendung von Mitteln" aus EU-Fonds und Geldern aus Italien finanziert. Konkrete Zahlen werden in Absichtserklärung keine erwähnt. Allerdings dürfe die Finanzierung keine "zusätzliche Belastung für das italienische Staatsbudget" darstellen, sondern primär durch die Nutzung von EU-Fonds ermöglicht werden.
Gleichzeitig müsse sichergestellt werden, dass die Herkunftsländer der Migranten "ihre eigenen Bürger zurücknehmen oder mit diesen Ländern zu diesem Zweck Vereinbarungen unterzeichnet" werden. Die in Libyen tätigen "internationalen Organisationen sowie die Arbeit im Migrationsbereich" müssen ebenfalls unterstützt werden, "um Bemühung voranzutreiben, die darauf gerichtet sind die Migranten in ihre eigenen Herkunftsländer zurückzuführen, einschließlich durch Mitteln der freiwilligen Rückkehr".
Libyen ist nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi 2011 in Chaos und Bürgerkrieg versunken. Mehr als 180.000 Flüchtlinge sind allein im vergangenen Jahr von Libyen aus über das Mittelmeer in Italien angekommen. Nach EU-Schätzungen warten noch etwa rund 300.000 Menschen in Libyen auf eine Überfahrt nach Europa.
Hoffnung keimte auf, als die von den Vereinten Nationen unterstützte, sogenannte Einheitsregierung Libyens vergangenes Frühjahr ihre Arbeit in der libyschen Hauptstadt Tripolis aufnahm. Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch sollte die tiefe Spaltung des Landes überwinden. Dazu sollte seine Regierung die beiden konkurrierenden Führungen - eine islamistische ebenfalls in der Hauptstadt Tripolis und eine eher weltliche in der östlichen Stadt Tobruk - ersetzen.
Eigentlich. Doch der Osten, in dem das demokratisch legitimierte Parlament des Landes sitzt, verweigert der Einheitsregierung bis heute die Anerkennung und damit auch die vollständige Übergabe der Macht. Als Störer wird der in Tobruk einflussreiche General Chalifa Haftar gesehen.
Al-Sarradsch konnte seine Macht indessen nicht nennenswert über die Stadtgrenzen von Tripolis ausweiten. In Libyen haben weiter Hunderte Milizen das Sagen, in weiten Teilen des Landes herrscht Anarchie. Und selbst in der Hauptstadt kann sich die Einheitsregierung offensichtlich nicht überall durchsetzen: Mitte Jänner verkündete die islamistische Regierung in Tripolis, mehrere Gebäude der Einheitsregierung besetzt zu haben.
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