EU-Abgeordnete werfen Ungarn Missbrauch von Fördergeldern vor

Für arbeitslose ungarische Roma wollte die EU ein Beschäftigungsprojekt finanzieren.
EU-Parlamentarier legen eine Liste mit konkreten Fällen vor. Sie fordern mehr Kontrolle.

In keinem EU-Land werden mehr europäische Fördergelder missbraucht als in Ungarn. Zehn Prozent der ungarischen Wirtschaftsleistung basieren auf Investitionen, die mit EU-Mitteln, also mit europäischen Steuergeldern, finanziert werden. Das geht aus dem Jahresbericht 2015 der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF hervor.

Laut OLAF gab es bei insgesamt 17 Fällen in Ungarn den Verdacht auf Betrug, in 14 Fällen den begründeten Verdacht auf Missbrauch von EU-Geldern. OLAF kann in Mitgliedsländern verdächtige Vorgänge überprüfen, aber keine eigenen Strafermittlungen einleiten.

Zwischen 2008 und 2015 empfahl das EU-Amt 22-mal eine Strafverfolgung. Die ungarische Staatsanwaltschaft schaute sich nur vier Fälle an, davon wurden drei nicht weiter verfolgt.

Aufklärung

Das Europäische Parlament als Kontrollbehörde verlangt nun von der rechtsnationalen ungarischen Regierung Aufklärung über die Verwendung von EU-Mittel. Die beiden Vizepräsidenten der Sozialdemokratischen Fraktion, der österreichische Abgeordnete Josef Weidenholzer und sein ungarischer Kollege Peter Niedermüller, starteten am Mittwoch eine Initiative, um "klare Informationen zu konkreten Fällen zu bekommen", sagte Weidenholzer. Bei einer Pressekonferenz wurde eine lange Liste von EU-finanzierten Projekten vorgelegt, bei denen es den Verdacht auf Missbrauch oder Korruption gibt.

Einige Beispiele: Premier Viktor Orbán ließ eine Nostalgiebahn in der Nähe seines Heimatortes errichten. Die Angabe der Regierung, wonach täglich 2560 bis 7080 Passagiere die Bahn benützten würden, ist falsch. Es sind täglich 30 bis 50 Menschen, die die Strecke befahren.

16 Millionen Euro waren für ein Beschäftigungsprogramm für Roma vorgesehen. Eine Kooperative, die der Minderheit Jobs bietet, hätte entstehen sollen. Diese Arbeitsplätze gibt es nicht, das Geld wurde für hohe Management-Ausgaben verwendet, unter anderem 700.000 Euro für ein Büro in teurer Lage in Budapest oder 300.000 Euro für Studien mit Kosten von 320 Euro pro Seite.

Mangelnde Transparenz gibt es bei rund 20 öffentlichen Ausschreibungen mit einem Gesamtwert von mehr als 200 Millionen Euro, die der Schwiegersohn von Premier Viktor Orbán bekam.

In den Fokus der EU-Ermittler ist auch die ungarische Zentralbank geraten. Orbán hatte 2013 den befreundeten Minister György Matolcsy zum Zentralbankchef ernannt. Unter ihm wurden 2014 die Wechselkursgewinne von 840 Millionen Euro statt für das Budget für dubiose Foundations aufgewendet.

Wie ein Wirtschaftskrimi lesen sich die Beispiele, die von den Abgeordneten vorgelegt worden sind. "Wir müssen Licht ins Dunkel bringen", sagte Weidenholzer. "Gerade jetzt nach dem Brexit wollen die Bürger wissen, was mit EU-Geldern passiert."

Untätige Kommission

Ein Brief der beiden Abgeordneten, die auch von anderen Fraktionen unterstützt werden, geht gerade an die EU-Kommission mit der Aufforderung, die EU-geförderten Projekte in Ungarn genau zu kontrollieren – und wenn nötig, EU-Fördergelder nicht mehr auszuzahlen. Die Vorwürfe, die Peter Niedermüller vorbringt, wiegen schwer: "Ungarn errichtet eine illiberale Demokratie mit EU-Geldern." Und: "Der Missbrauch ist Teil des ungarischen politischen Systems."

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