Warum die Türkei jetzt Exportbeschränkungen nach Israel erlässt
"Der Handel mit Israel ist ein Verrat an Palästina!" Darüber zwei sich schüttelnde Hände, in die Nationalflaggen Israels und der Türkei getaucht. Umrahmt ist das Bild mit einem Stacheldrahtzaun.
Mit derartigen Sujets hatte die islamistische Kleinpartei Yeniden Refah Partisi (übersetzt "Neue Wohlfahrtspartei") bei den türkischen Kommunalwahlen im März Wahlkampf gemacht – und zwar erfolgreich. Sie wurde, zwar mit enormem Abstand, drittstärkste politische Kraft im Land (6,2 Prozent), und nahm Präsident Recep Tayyip Erdoğans AKP wesentliche Stimmen weg.
Denn trotz seiner pro-palästinensischen, israel-kritischen Rhetorik – die terroristische Hamas bezeichnete Erdoğan wenige Wochen nach deren Angriff als Befreiungsorganisation – hat der türkische Präsident die wirtschaftlichen Beziehungen mit Israel nicht eingestellt.
Seit den 1990er Jahren besteht ein reger Waffenhandel zwischen der Türkei und Israel; jahrelang wurden trotz diplomatischer Spannungen auch gemeinsame Militärübungen abgehalten.
Seit dem 7. Oktober soll der bilaterale Handel um 33 Prozent zurückgegangen sein, doch allein im Jänner 2024 soll die Türkei Waren im Wert von fast 319 Millionen US-Dollar nach Israel exportiert haben – darunter Sprengstoffe, Flugzeugteile, Waffen und Munition. Die türkische Regierung hat dies im Wahlkampf bestritten.
Bevölkerung solidarisch mit Palästinensern
Nach den Wahlen war es zu breiten Protesten gegen den Handel der Türkei mit Israel gekommen, inklusive Dutzender Festnahmen. Im Gaza-Krieg steht die türkische Bevölkerung mehrheitlich an der Seite der Palästinenser.
Jetzt dürfte der Druck auf die Regierung zu groß geworden sein – und der Zeitpunkt, das Ende des Ramadans und der Beginn des Zuckerfestes, gerade passend, um die türkische Solidarität mit den Palästinensern zu betonen: Außenminister Hakan Fidan hat Exporteinschränkungen angekündigt, etwa auf Eisen, Stahl, Aluminium, Baustoffe, Düngemittel und Flugbenzin. Als offiziellen Grund nannte Fidan, dass Israel am späten Montag die Bitte der Türkei abgelehnt habe, Hilfsgüter aus der Luft nach Gaza zu bringen. Die Türkei gehört zu den größten Geldgebern humanitärer Hilfe für Gaza. Israel leugnete, den Abwurf von Hilfslieferungen verhindert zu haben.
Der türkischen Regierung zufolge sollen die Exorteinschränkungen solange gelten, bis eine Waffenruhe zustande kommt.
Gespräche um Waffenruhe laufen
Gespräche darüber finden weiter in Kairo statt. Berichten zufolge könnten 40 bis 50 Geiseln gegen etwa 900 palästinensische Gefangene aus Gefängnissen im Westjordanland freigelassen werden.
Einer Aufschlüsselung des Guardians zufolge sind die USA der größte Waffenlieferant, sie stellen schätzungsweise 68 Prozent der im Ausland beschafften Waffen Israels. Deutschland folgt mit rund 30 Prozent. Zu den weiteren Ländern zählen Großbritannien, Italien und Australien. Zuletzt hat die australische Außenministerin jedoch erklärt, ihr Land habe seit Beginn des Gaza-Konflikts keine Waffen mehr geliefert.
Kanada, die Niederlande, Japan, Spanien und Belgien haben angekündigt, keine Waffen mehr nach Israel zu liefern. Dänemark könnte den Export von F35-Kampfjet-Teilen in die USA aussetzen, weil die fertigen Jets an Israel verkauft werden.
Mit dem Exportstopp könnte sich die dringend Auslandsinvestitionen benötigende Türkei aber auch selbst schaden: 2023 wurden laut türkischem Statistikamt Waren im Wert von 5,4 Milliarden Dollar nach Israel exportiert. Israel war im Vorjahr der zwölftwichtigste Handelspartner. Der israelische Außenminister Israel Katz kündigte an, Israels Verbündete wie die Vereinigten Staaten anzuhalten, nicht mehr in der Türkei zu investieren und keine Waren mehr aus der Türkei einzuführen. Die türkische Lira sank nach Ankündigung der Einschränkungen leicht ab.
Wahrscheinlich ist aber auch, dass der türkische Exportstopp nur vorübergehend ist: Denn Erdoğan hat, ähnlich wie beim Krieg in der Ukraine, Interesse daran, sich als Vermittler einzubringen. Dann dürfte Ankara, sobald eine längerfristige Waffenruhe ausgehandelt wurde, bemüht sein, die diplomatischen Beziehungen zu Israel nicht durch wirtschaftliche Fehden weiter zu trüben.
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