Erdoğan sucht Friedensplan in Lwiw: Ist das möglich?

Erdoğan sucht Friedensplan in Lwiw: Ist das möglich?
Der türkische Präsident traf Guterres und Selenskij in Lemberg, um eine "diplomatische Lösung" zu finden. Welche Ziele verfolgt Erdoğan dabei?

Ohne sie hätte es kein Getreideabkommen zwischen Kiew und Moskau gegeben, hätten bereits 43 Getreidetransporter die Ukraine verlassen können: Recep Tayyip Erdoğan, türkischer Präsident, und Antonio Guterres, UN-Generalsekretär, fuhren am Donnerstag mit diplomatischen Erfolgen im Gepäck nach Lemberg (Lwiw), um dort den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij zu treffen.

Während Guterres die Erwartungen dämpfte, gerierte sich Erdoğan im Vorfeld als Vermittler: Es solle nichts Geringeres als die "Beendigung des Krieges zwischen der Ukraine und Russland auf diplomatischem Wege" erörtert werden.

Gute Kontakte

Der türkische Präsident unterhält gute Kontakte zu beiden Kriegsparteien – das ist unbestritten. Türkische Drohnen sind für die Ukraine im Einsatz, viele ukrainische Flüchtlinge fanden in türkischen Städten Zuflucht. Mit Russland verbinden die Türkei vor allem wirtschaftliche Interessen.

Eine diplomatische Lösung des Ukraine-Kriegs liegt jedoch in weiter Ferne: "Derzeit sehe ich keine Chance für ein etwaiges Friedensabkommen. Beide Seiten sind davon überzeugt, durch militärische Erfolge zu einer Position der Stärke zu gelangen und von dort aus Bedingungen diktieren zu können", schätzt Russland-Experte Gerhard Mangott die Situation gegenüber dem KURIER ein.

Erdoğan sucht Friedensplan in Lwiw: Ist das möglich?

"Aus meiner Sicht kann die Ukraine nur durch erfolgreiche Gegenoffensiven zu ihrer gewünschten Position der Stärke gelangen – und viele Militäranalysten sind der Überzeugung, dass es dafür an Waffen wie Soldaten fehlt", sagt Mangott: "Was sie schaffen, sind Angriffe auf russische Infrastruktur hinter der Front, doch dadurch wird der russische Angriff verzögert – nicht abgewehrt."

Derzeit ist auch nicht absehbar, dass ukrainische Verbände vor Winterbeginn die Stadt Cherson im Süden einnehmen könnten. Die Meldungen aus Kiew bezüglich einer Eine-Million-Mann-Armee haben sich bisher als Wunschdenken herausgestellt.

All das würde bedeuten, dass die russischen Streitkräfte das Westufer des Flusses Dnepr besetzt halten und im Frühling eine bessere Ausgangsposition für eine Offensive auf Odessa haben.

Im Donbass rücken die russischen Truppen weiterhin langsam und stetig vor. "Würde Putin den gesamten Donbass einnehmen, könnte er meiner Einschätzung nach eine Waffenruhe vorschlagen, die Kiew ablehnen dürfte", sagt Mangott. "Das würde zu Spannungen zwischen westlichen Staaten führen. Zwischen jenen, die die Waffenruhe befürworten und jenen, die sie ablehnen. Auch damit wäre Putin einem weiteren Ziel – der Spaltung des Westens – etwas nähergekommen."

Gutes Verhältnis

Erdoğan versuche seit Monaten, Putin und Selenskij an einen Tisch in der Türkei zu bringen, doch von russischer Seite gebe es hierfür kein Interesse. "Dieses Treffen in Lwiw wird vor allem dazu gedient haben, das Getreideabkommen zu evaluieren und die Lage im AKW Saporischschja zu erörtern", sagt Mangott, der an der Universität Innsbruck lehrt. Dennoch schließt er nicht aus, dass die Türkei in fernerer Zukunft an einem Friedensprozess beteiligt sein könnte.

Auch wenn Ankara und Moskau außenpolitisch – etwa in Syrien, Libyen, Bergkarabach – auf verschiedenen Seiten stehen, pflegen Erdoğan und Putin ein gutes Verhältnis: "Beide schätzen einander für ihre Härte in manchen Fragen, beide sind Autokraten – und vor allem in puncto wirtschaftlicher Verflechtung sind Russland und die Türkei aufeinander angewiesen", so Mangott.

Vor allem Erdoğan steht angesichts einer veritablen Wirtschaftskrise in seinem Land unter massivem Druck: In Umfragen verliert seine Partei mehr als zwölf Prozentpunkte und liegt nur noch knapp vor der kemalistischen Partei CHP. Auch die Umfragen zur Präsidentschaftswahl sahen vor dem Ukraine-Krieg düster für Erdoğan aus. Erstmals lag der Kandidat der CHP vor ihm. Seit er sich außenpolitisch als Vermittler betätigt, sind seine Werte wieder gestiegen. Auch gegenüber Israel wird er im Ton sanfter, will auf stärkere Bündnisse setzen. Doch zurück in die Ukraine. Wann würde etwa Kiew verhandlungsbereit sein?

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