Der "große Meister" auf Stimmenfang in Berlin
Bläulich schimmernd und in 3-D: Recep Tayyip Erdogan sprach vergangene Woche zu seinen Anhängern in Izmir – allerdings nicht physisch anwesend, sondern als in die Luft projiziertes, übergroßes Hologram.
Nach Berlin reist der türkische Premier aber höchstpersönlich. Zuerst wird am Dienstag mit Angela Merkel über Syrien und den EU-Beitritt debattiert, dann folgt eine Rede vor etwa 7000 Deutschtürken. Das Motto: "Berlin trifft den großen Meister". Erdogans Auslandswahlkampf ist eröffnet.
Erdogan, nächster Präsident?
Schließlich stehen nach den Kommunalwahlen im März auch Präsidentschaftswahlen an. Und dieser Urnengang ist eine doppelte Premiere: Erstmals wählt das Volk den Präsidenten direkt – und erstmals können Auslandstürken ihre Stimme außerhalb der Türkei abgeben.
Etwa 1,3 Millionen Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft leben in Deutschland. Eine nicht unbeachtliche Zahl an Wählerstimmen. Erdogan nutzt den Besuch in Berlin also auch, um zu "seinen Leuten" zu sprechen. Organisiert wird die Veranstaltung von der Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD), die als Lobbyorganisation seiner Partei, der AKP, gilt. Mehrere türkische TV-Sender übertragen die Rede live, in Berlin werden Plätze für Public-Viewing eingerichtet.
"Erdogan hat nur zwei Optionen: Entweder er ändert das Statut, oder er kandidiert als Präsident"
Worüber der Premier sprechen wird? "Erdogan wird auch in Deutschland sagen, was er in der Türkei, aber auch kürzlich in Brüssel gesagt hat. Es gebe eine Verschwörung gegen die AKP seitens der Gülen-Bewegung. Die Versetzung von Staatsanwälten und Polizisten sei kein Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz, sondern eine nötige Säuberung des Systems", vermutet der Istanbuler Politologe Ekrem Güzeldere gegenüber dem KURIER. Der Machtmensch Erdogan steht durch die Gezi-Proteste und den Korruptionsskandal enorm unter Druck. Es braucht starke Worte, um seine Position und die seiner Partei wieder zu stärken. Vor allem da anzunehmen ist, dass er selbst vorhat für das Amt des Präsidenten anzutreten und Abdullah Gül zu beerben. "Aufgrund der AKP-Statuten darf Erdogan nicht mehr bei der Parlamentswahl kandidieren. Wenn er sich nicht aus der Politik zurückziehen will, hat er nur zwei Optionen: Entweder er ändert das Statut, oder er kandidiert als Präsident", sagt Güzeldere.
Auslandstürken: Interesse wächst
Bei 75 Millionen Einwohnern sind die paar Millionen Auslandstürken für Erdogan zwar kaum wahlentscheidend, bieten aber willkommene Unterstützung: Die Zustimmung der in Deutschland und Österreich lebenden Türken gegenüber der konservativen AKP ist wohl höher als im Land selbst, erläutert Politologe Güzeldere. Besonders aus den armen, ländlichen Regionen sind Menschen nach Deutschland und Österreich ausgewandert. Traditionell sind das die Hochburgen der AKP.
Es ist also wenig verwunderlich, dass die Auslandstürken kontinuierlich ins Zentrum des Interesses der Regierung rücken. Das geht auch über potenzielle Wählerstimmen hinaus: Gehandelt wird nach dem Prinzip, die Familie der Türken in aller Welt müsse zusammenhalten. 2010 schuf Erdogan sogar ein eigenes Ministerium für Auslandstürken. Das erweiterte Wahlrecht ist ein nächster Schritt. Bisher mussten Auslandstürken extra in die Türkei reisen, um zu wählen. Ihre Wahlbeteiligung sank deshalb laut der Nachrichtenagentur Anadolu auf fünf Prozent. Nun ist die Stimmabgabe auch in Konsulaten weltweit möglich.
AKP in Deutschland: Einfluss ausbauen
Seit dem offenen Machtkampf mit Prediger Fethullah Gülen ist die Regierungspartei besonders bemüht, ihren Einfluss in der Diaspora zu wahren. Gülens mächtiges Netzwerk war einst eine sichere Bank für die AKP, nun will man selbst mobilisieren. Türkische Vereine und Unternehmervertreter werden vermehrt nach Ankara eingeladen und finanziell ausgestattet. Dadurch schafft sich die Partei Verbündete, auch außerhalb der eigenen Grenzen. "Die AKP kann sich außerdem zu einem Teil auf staatliche und dem Staat nahe stehende Institutionen stützen. Darunter z.B.: Ditib, welches ein Ableger der Behörde für Religion ist und in Deutschland an die 2000 Moscheen betreibt", erklärt Güzeldere. Auch der größte Moscheenbetreiber in Österreich, der Verein ATIB, soll zumindest teilweise durch den türkischen Staat finanziert sein.
Bedeutsam für die Stärkung der AKP im Ausland ist zudem die UETD, welche auch die Rede in Berlin organisiert. Die UETD, bis vor kurzem nur mit einem Büro in Köln vertreten, hat nach eigenen Angaben in 60 deutsche Städte expandiert. Wer den Verein finanziert ist nicht bekannt, ebenso wenig die Zahl seiner Mitglieder.
"Verbrechen gegen Menschlichkeit"
Seit 2006 hat die Union auch eine Niederlassung in Österreich (hierzulande leben etwa hunderttausend türkische Staatsbürger). Ziel sei es laut deren Website Austrotürken bei der Integration zu unterstützen, Assimilierung lehnt man vehement ab. So wie auch Erdogan bei einer umstrittenen Rede 2008 in Köln: Damals forderte er die Türken in Deutschland auf, sich zu integrieren, bezeichnete aber eine "kulturelle Verschmelzung" als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".
Selbst wenn Erdogan in Berlin persönlich und nicht als bläulich schimmerndes Hologram vor seine Anhänger tritt: Mit einem aufsehenerregenden Auftritt ist wohl zu rechnen.
Beide haben sie eine Vision und eine Mission: In der Türkei (und auch in anderen Staaten) soll eine tief islamisch geprägte Gesellschaft entstehen. Dieses religiöse Band einte Fethullah Gülen, der von den USA aus ein höchst klandestines und höchst einflussreiches weltweites Netzwerk aufgebaut hat, und den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan.
Doch mittlerweile ist zwischen diesen beiden Alpha-Tieren ein erbitterter Kampf um die Macht in der Türkei entbrannt. Die Gülen-Bewegung, die im Land am Bosporus Schlüsselpositionen vor allem in den Bereichen Justiz und Polizei erlangt hatte, soll hinter der Aufdeckung eines Korruptionsskandals stehen, in den angeblich auch mittlerweile gefeuerte Minister involviert sind. Die Rede ist von Bestechungsgeldern in der Höhe von mehr als 60 Millionen Dollar.
„Es handelt sich um eine streng hierarchische, straff geführte Organisation mit Fetullah Gülen an der Spitze, den 20 bis 30 Top-Leute umgeben. Dann kommen weltweit 3000 bis 5000 Regionalverantwortliche. Insgesamt gibt es ein bis zwei Millionen Aktivisten und ein Vielfaches an Sympathisanten“, sagt Yavuz.
„Islamische Elite“
Ziel sei es, den „Normatismus des Islam im Alltag“ zu verankern, sprich eine Islamisierung der Gesellschaft in allen Bereichen – allerdings ohne die Sharia (muslimische Gesetzgebung). Dabei setze Gülen auf Bildung (weltweit betreibt die Organisation mehr als 1000 Schulen): „Es soll eine islamische Elite herangezüchtet werden, die dann in verantwortungsvollen Positionen ihren Einfluss geltend macht“, erläutert der Experte.
In der Türkei hätten „Gülen-Jünger“ alle wichtigen Sektoren bis ganz nach oben infiltriert: Vom Bildungs- und Gesundheitswesen über die Banken, die Energie- und Baubranche bis zum Tourismus und den Medien. Und damit die Kriegskassa gut gefüllt ist, müssten Manager zehn bis zwanzig Prozent ihres Lohnes an die Bewegung abführen, die der Professor wegen ihrer Abgeschottetheit mit dem rechtskatholischen Geheimbund „Opus Dei“ vergleicht.
Das sei geglückt, „der gemeinsame Feind“, wie Yavuz formuliert, „ist zerstört“ – und damit auch die frühere Bande. Doch warum sah die Gülen-Bewegung, der ein Nahverhältnis zur US-Regierung nachgesagt wird, gerade jetzt die Stunde gekommen, in die Offensive zu gehen? Die Erklärung einiger Beobachter: Washington sei wegen der Iran- und Ägypten-Politik Ankaras (Unterlaufen der Sanktionen sowie Unterstützung der inzwischen verbotenen Muslimbruderschaft) derart verärgert, dass es Erdogan fallen gelassen habe. Das habe Gülen animiert, die direkte Konfrontation mit dem türkischen Premier zu wagen.
„Säuberungswelle“
Doch dieser kämpft mit allen Mitteln. Er versetzte 5000 vermeintliche Gülen-Anhänger im Justiz- und Polizeiapparat, die die Ermittlungen in der Korruptionsaffäre vorangetrieben hatten. Zuletzt ging es auch hochrangigen Beschäftigten in der Banken- und Telekom-Aufsicht sowie im Staatsfernsehen an den Kragen – eine „Säuberungswelle“, mit der der Regierungschef wieder Oberwasser gewinnen will.
Erdogan ist populär
Hakan Yavuk: „Ich glaube, die Gülen-Bewegung hat sich jetzt übernommen und wird den Kürzeren ziehen. Denn erstens weiß jeder in der Türkei, dass es Korruption gibt, das ist für die Leute nicht das große Ding. Zweitens ist Erdogan ein charismatischer Führer, hinter dem immer noch rund 50 Prozent der Bevölkerung stehen. Drittens ist die Opposition sehr schwach. Und viertens ist die Wirtschaft trotz Rückschlägen immer noch ganz gut in Schuss. Und das zählt. Die landesweiten Kommunalwahlen Ende März werden jedenfalls ein erster Stimmungstest sein.“
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