Erdogan auf Werbetour in Berlin

Der türkische Regierungschef trifft auf begeisterte Landsleute und eine kühle Kanzlerin.

Ich bin so aufgeregt, ich kann jetzt nicht sprechen: Gerade habe ich ihn gesehen, wunderbar“, schwärmte im Berliner Dialekt eine Türkin mittleren Alters mit geblümtem Kopftuch im Regionalfernsehen von Erdogan, auf den sie vor seinem Hotel lange gewartet hatte.

Türkische Journalisten in Berlin sehen solche Verzückung als repräsentativ für die Stimmung in der größten türkischen Gemeinde außerhalb ihrer Heimat. Recep Tayyip Erdogan, seit zehn Jahren türkischer Ministerpräsident, ist hier mehr als willkommen: Er ist ein Idol.

Seine Gegner, meist Aleviten und Kurden, die beim Hotel und beim Brandenburger Tor demonstrierten, sind in der Minderheit, auch hier.

Das machte sich Erdogan bei seinem fünften Besuch in Berlin zunutze: Dienstag Abend hielt er im größten Veranstaltungssaal in Kreuzberg eine Rede für 4000 Türken drinnen und Tausende vor Leinwänden draußen. In Berlin haben 200.000 oder sechs Prozent der Einwohner türkische Wurzeln, es sei die größte „türkische“ Stadt außerhalb des Mutterlandes, hatte Erdogan früher gesagt.

Etwa die Hälfte hat die türkische Staatsbürgerschaft und darf im Sommer erstmals bei den türkischen Präsidentenwahlen mitstimmen. Kennern gilt Erdogans Reise vor allem als Wahltour für seine AKP-Partei.

Nach den Unruhen in Istanbul im Sommer brauche sie dort jede Stimme, die Wahl des Staatspräsidenten sei ihr nicht mehr so sicher wie früher, analysierten beim Besuch türkische Journalisten. Auch der riesige Korruptionsskandal bis in die Familie Erdogan hinein und die von ihm gezielt erschwerten Ermittlungen dagegen hätten das Vertrauen der wichtigen ausländischen Investoren erschüttert. Die bisher unter Erdogan extrem rasch gewachsene Wirtschaft und die Demokratisierung steckten in einer tiefen Krise.

Skeptische Merkel

Diese Themen spielten auch beim Treffen Erdogans im Kanzleramt eine Rolle. Beim Mittagessen mit Angela Merkel warb er aber vor allem für ihre Unterstützung bei den Beitrittsgesprächen mit der EU, die seit 2005 – sehr zäh – laufen. Allerdings hatte in der Vorwoche François Hollande, der sozialistische Präsident Frankreichs, bei einem Besuch in Ankara Erdogan versprochen, die restriktive Haltung seines bürgerlichen Vorgängers Sarkozy aufzugeben. Das erwarte er nun auch von Merkel, sagte Erdogan: Es sei die EU, die die Türkei brauche, und nicht umgekehrt, wiederholte er seine seit 2011 selbstbewusst vorgetragene These.

Doch die deutsche Kanzlerin blieb kühl. Sie betrachte die Beitrittsverhandlungen „weiter als ergebnisoffen“, sagte sie danach vor der Presse: „Es ist kein Geheimnis, dass ich der Vollmitgliedschaft skeptisch gegenüberstehe.“ Stunden zuvor war bekannt geworden, dass ihre CDU im Europawahlkampf die Vollmitgliedschaft der Türkei sogar ausdrücklich ablehnen werde. Subtil verwies Merkel auch darauf, dass sie die im Koalitionsvertrag mit der SPD vereinbarte Ausweitung der Doppelstaatsbürgerschaft für in Deutschland aufgewachsene Türken nur „hinnimmt“. Mit zwei Pässen könnten die in Deutschland lebenden Türken dann zwei Mal wählen, in Deutschland und in der Türkei. Womit sowohl Erdogans AKP als auch die SPD auf mehr Stimmen hoffen könnten.

Die Rede vor Tausenden Auslandstürken in Berlin zeigt: Erdogans Wahlkampf beschränkt sich nicht nur auf die Türkei. Es geht um Einfluss und Wählerstimmen, auch im Ausland: Schließlich leben allein in Deutschland 1,3 Millionen türkische Staatsbürger. Bei den Präsidentschaftswahlen sind sie wahlberechtigt.

Obwohl kaum wahlentscheidend, bieten sie eine willkommene Stütze: Die Zustimmung der hier lebenden Türken gegenüber Erdogans AKP ist höher als im Land selbst, erläutert der Istanbuler Politologe Ekrem Güzeldere dem KURIER. Besonders aus den ländlichen Regionen der Türkei sind die Menschen ausgewandert. Traditionell sind das Hochburgen der AKP.Es ist also wenig verwunderlich, dass die Auslandstürken kontinuierlich ins Zentrum des Interesses rücken. Das geht über potenzielle Wählerstimmen hinaus: Gehandelt wird nach dem Prinzip, die Familie der Türken müsse weltweit zusammenhalten. 2010 schuf Erdogan sogar ein eigenes Ministerium für Auslandstürken.

Einfluss stärken

Seit den Korruptionsvorwürfen ist der türkische Premier besonders bemüht, den Einfluss in der Diaspora zu stärken. Türkische Vereine werden nach Ankara eingeladen und finanziell ausgestattet. So schafft sich der Premier Verbündete, auch außerhalb der Türkei. „Die AKP kann sich außerdem auf nahestehende Institutionen stützen. Darunter Ditib, welches in Deutschland an die 2000 Moscheen betreibt“, erklärt Güzeldere. Auch der größte Moscheenbetreiber in Österreich, der Verein ATIB, soll zumindest teilweise durch den türkischen Staat finanziert sein.

Lobbyarbeit betreibt zudem die Union der Europäisch-Türkischen Demokraten, welche die Rede in Berlin organisierte. Der Verein expandierte zuletzt in 60 Städte. Auch in Wien gibt es einen Ableger.

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