Emmanuel Macron kämpft verzweifelt um seinen Handlungsspielraum
Präsident Emmanuel Macron ist bei seinem jüngsten Medien-Auftritt vermutlich an die Grenze der für ihn machbaren Zugeständnisse gegenüber einer chronisch erbosten Bevölkerung gegangen: Er gab sich zerknirscht ob seiner eigenen, anfänglichen „Härte“ im Umgang mit Rentnern und anderen gebeutelten Schichten. Er beteuerte, sich „geändert“ zu haben, und ließ Versprechen rieseln.
Unter anderem verkündete Macron: eine Senkung der Einkommensteuer für schwächere Erwerbsgruppen, keine weiteren Schließungen von Schulen und Spitälern ohne Zustimmung der örtlichen Bürgermeister, die Begrenzung der Klassenschülerzahl an allen Volksschulen auf 24, die Erhöhung der Renten für Niedrigverdiener und Mütter mit wenig Erwerbszeiten, das Einspringen des Staats bei Unterhaltszahlungen für Alleinerzieherinnen, wenn die Ex-Gatten säumig sind.
Nur die Vermögenssteuer, die er zu Beginn seiner Amtszeit abschaffte, wolle er – vorerst – nicht wieder einführen (eine Forderung der „Gelbwesten“), um Investoren nicht zu vergraulen.
Bürgerliche Untreue
Aber anderntags erntete Macron fast nur skeptische bis ablehnende Reaktionen, von links sowieso, aber auch – Undank ist der Welten Lohn – von Seiten wirtschaftsliberaler bis konservativer Kommentatoren.
Vor allem diese bürgerliche Untreue ist für Macron betrüblich. Dass er die „Gelbwesten“ besänftigen würde, hatte er wohl selber nicht erwartet. Auch noch fünf Monate nach Beginn ihrer all-samstäglichen, mehr oder weniger brachialen Aufmärsche können die „Gelbwesten“, die den Kaufkraft-Verlust breiter Schichten beklagen, laut Umfragen mit der Sympathie von rund 45 Prozent der Franzosen rechnen.
Dankbar
Diese einkommensschwachen Bevölkerungsteile sind den „Gelbwesten“ (und nicht Macron) für alles dankbar, was der Staatschef inzwischen für sie locker machte: allen voran staatliche Zuschüsse für Niedrigverdiener und die Annullierung von Abgabenerhöhungen in einer Gesamthöhe von mehr als zehn Milliarden Euro.
Das ist enorm, wenn man bedenkt, dass die Gewerkschaften mit ihren Streiks zuletzt meistens leer ausgingen. Also hoffen viele Arbeitnehmer, dass die „Gelbwesten“ Macron noch mehr abtrotzen.
Um diese Dauerkrise zu überstehen, setzt Macron auf die EU-Wahl. Dafür muss er sein Grundwähler-Potenzial aus dem ersten Durchgang der Präsidentenwahl 2017 wieder um sich scharen. Damals kam er auf 24 Prozent. Heute liegt seine Popularität bei Umfragen nicht sehr viel höher. Seiner Partei, „La République en marche“ (LRM), wurde für die EU-Wahl bis vor Kurzem ein ähnlicher Stand vorausgesagt.
Optischer Sieg
Das ist nicht umwerfend, schien aber für den ersten Platz zu reichen – knapp gefolgt vom „Rassemblement National“ (RN) von Marine Le Pen. Alle weiteren Listen würden unter 15 Prozent stecken bleiben. Ein derartiger, zumindest optischer Sieg von Macron bei der EU-Wahl könnte zur Ermüdung der „Gelbwesten“ beitragen.
Aber wehe, das Gegenteil tritt ein, wie es sich in einer neuesten Umfrage erstmals abzeichnet: Demnach käme der RN von Marine Le Pen auf Platz eins mit 24 Prozent, während Macrons LRM bei nur 21 Prozent hielte. Grund: Ein Teil der bürgerlichen Besserverdiener, die heute den Großteil von Macrons Anhängerschaft bilden, schwanken zwischen seiner LRM und der Liste der klassischen konservativen Partei „Les Republicains“.
Macrons Handlungsspielraum wäre endgültig dahin, wenn zum „Gelbwesten“-Aufruhr auch noch eine Wahlniederlage käme.
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