Eltern revoltieren gegen Johnsons Kurs in Coronavirus-Krise

Kritiker werfen Boris Johnson vor, den Tod von Hunderttausenden Briten zu riskieren
Mehr als 634.000 Eltern fordern vom britischen Premier die Schließung aller Schulen auf der Insel, um Leben zu retten.

Die britische Zeitung The Guardian findet drastische Worte für die zögerliche Vorgangsweise der Regierung von Premier Boris Johnson in Sachen Coronavirus: „Die Unentschlossenheit von Ministern beschwört das Schreckgespenst eines Massensterbens und eines möglichen Chaos in einem unterfinanzierten staatlichen Gesundheitssystem herauf. Dies ist die schlimmste Krise des staatlichen Gesundheitswesens seit einer Generation.“

Business as usual

Während ganz Europa versucht, mit allen Mitteln das Virus einzudämmen, macht London – bis auf Tipps, gründlich Hände zu waschen – so gut wie nichts. Montagabend verkündete Johnson, seine Landsleute sollten Abstand halten, besser Pubs, Clubs und Theater meiden und Homeoffice, wo es geht, ins Auge fassen. Großveranstaltungen bleiben aber weiterhin nicht verboten, Geschäfte offen und Schulen werden nur bei Verdachtsfällen geschlossen. Für wie viele Schulen das bisher gilt, darüber schweigt sich Downing Street 10 aus.

20 Tote an einem Tag

Doch es regt sich Widerstand: „Ich glaube, die Regierung handelt unverantwortlich und riskiert zum Schutz der Wirtschaft Leben“, sagte etwa Suzana Ilieva aus Doncaster. Sie schickt wie viele andere Eltern auf der Insel ihre Kinder nicht mehr in die Schule. Mehr als 634.000 Briten unterschrieben bereits bis Dienstagfrüh eine Petition zur Schließung aller Schulen. Die Zahl der Unterschriften kletterte ab Montagabend rasant weiter - vor allem, nachdem bekannt wurde, dass binnen 24 Stunden die Zahl der Todesopfer von 35 auf 55 gestiegen war. Die Menschen fordern die Schulschließungen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.

Die Regierung will davon aber weiterhin nichts davon. Wer hustet und hohes Fieber habe, möge bitte zwei Wochen lang zu Hause bleiben. Älteren, besonders gefährdeten Menschen wird zu zwölf Wochen Selbstisolation geraten.

Die Logik dahinter: Menschen sollen sich mit dem Virus anstecken, um eine gewisse „Herdenimmunität“ zu erreichen. Damit will die Regierung eine etwaige weitere Welle im Herbst verhindern.

 Bei Impfungen ist von Herdenimmunität die Rede, zum Beispiel bei Masern: Sind 90 Prozent der Bevölkerung geimpft, hat der Rest gute Chancen, nicht an Masern zu erkranken.

Kollaps

An dieser Taktik wird beim Coronavirus heftig gezweifelt. 250 Wissenschafter britischer Universitäten fordern Schritte wie in anderen europäischen Ländern. Dadurch könnten Tausende Leben gerettet werden. Ungebremst werde der Ausbruch in einigen Wochen Millionen Menschen betreffen. Das könnte den Kollaps des ohnehin schwer angeschlagenen staatlichen Gesundheitsdiensts NHS bedeuten, warnen die Forscher.

Die britische Politologin Melanie Sully sieht das auch so: „Das Gesundheitssystem wurde in den vergangenen Jahren ausgehungert und funktioniert schon in normalen Zeiten nicht. Warum soll es dann in einer Krise funktionieren, wie behauptet wird? Das ist nicht überzeugend.“ Sully glaubt auch nicht, dass Johnson, „der es genießt, ‚good news‘ zu verkünden“, durchhalten wird, wenn er viele Todesnachrichten zu überbringen hat.

Beatmungsgeräte bauen

Laut dem Guardian rechnen Experten mit acht Millionen Spitalspatienten innerhalb eines Jahres – und 300.000 bis 530.000 Todesopfern. Am Montag meldete das Land mehr als 1.540 Infizierte und eben 55 Tote. Medienberichten zufolge will Johnson jetzt fachfremde Unternehmen wie Dyson oder Honda bitten, Beatmungsgeräte zu produzieren.

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