Elizabeth II - „Sie war auch in Kenia unsere Königin“
„Zwölf Stunden, was ist das schon gegen ein ganzes Leben?“ Patrick hat nicht vor, sich zu beklagen, nicht über die Kälte und den Regen, die er in dieser Nacht schon überstanden, nicht über die Stunden, die er noch vor sich hat. „Sie hat ihr ganzes Leben lang gedient, als meine Oberbefehlshaberin – und ich bin ihr das einfach schuldig.“
Patrick hat auch gedient, zumindest ein halbes Leben lang – und das nicht im Buckingham Palast, sondern in Afghanistan, im Irak und an ein paar anderen von Krieg und Terror verwüsteten Weltgegenden. Die Orden, die er an seiner Uniform trägt, erzählen davon. 23 Jahre war er alt, als er sich in Ghana, der ehemaligen britischen Kolonie, zum Dienst meldete. Ob ihm Großbritannien zu danken habe? „Ich glaube ja, aber ich habe auch dem Land einiges zu verdanken – und dieser Königin.“
Wer sich in diesen Tagen durch die Menschenschlange bewegt, die sich mit Gelassenheit, Pflichtbewusstsein und gelegentlich ein bisschen britischem Humor in Richtung Westminster Hall und dem Sarg der Queen schiebt, trifft auch auf die gemeinsame Geschichte, die dieses Land mit Ländern von Ghana bis Australien teilt.
Fragt man die Wartenden, von wo sie denn kommen würden, kommt oft als erste Antwort ein Städtchen irgendwo auf der Insel – und dann, nach einer kurzen Nachdenkpause, ein Satz wie, „aber geboren bin ich in ...“
Kenia ist das etwa bei Jude und Theresa. Als die beiden als Kinder nach Großbritannien gekommen sind, da war ihre Heimat noch Kronkolonie. Beamter sei er dann geworden, erzählt Jude stolz, und auch der Teil der Familie, der in der alten Heimat geblieben sei, „auch die haben immer für die Krone gearbeitet.“ Dass diese Krone auch weiterhin über Kenia herrschen soll, da gibt es für die beiden Mitsiebziger, die das stundenlange Stehen merklich mitnimmt, keinen Zweifel. Über die dunkle Vergangenheit des britischen Kolonialismus wollen sie nicht einmal auf Nachfrage ein böses Wort verlieren. Als wollte sie das Britische in sich jetzt noch deutlicher herauskehren, packt Theresa ein bisschen ihre alten Werte aus: „Wir sind ja damals in Kenia noch ordentlich erzogen worden, Fleiß, Bescheidenheit, Treue zur Krone ... Sie war ja auch in Kenia unsere Königin.“
Für eine junge Frau wie Gina ist das natürlich viel zu dick aufgetragen. Das sei schon sehr gut, dass all diese Kolonien heute unabhängig seien. Auf die Frage, wo denn ihre Familie herkommt, springt spontan Oma Alys mit der Antwort ein, die ist nämlich von dort gerade erst angereist zum Queen-Begräbnis: „Aus Kamerun. Und zwar dem britischen Teil.“ Dass der seit Jahrzehnten nicht mehr britisch ist, schon klar, „aber ist das nicht großartig, dass Gina heute in Großbritannien studieren darf?“
Die Queen-Teekanne
Mit politischen Debatten über Kolonialismus und Ausbeutung kommt man bei diesen Gesprächen nicht weit, viel mehr ist man sehr bald bei den Erinnerungen angelangt, an das fremde Land in Europa, in das diese Menschen einst gekommen sind, und an die Queen, die damals schon einfach da war. Auf einer Teekanne etwa, bringt sich ein junger Mann mit pakistanischen Wurzeln ins Gespräch ein: Das habe seine Mutter geschenkt bekommen, als sie nach England kam – und das habe bis heute seinen Platz in der Küche.
Oft tauchen persönliche Erinnerungen an die Queen auf: an Besuche in Schulen, Sportvereinen, und dass sie höflich gewesen sei, vielen die Hand gegeben habe.
„Sie war die Großmutter für uns alle“, bringt die junge Gina das Grundgefühl in dieser langen Nacht an der Themse auf den Punkt. Und dass sie ihre Pflicht getan hat für sie, ihre Landsleute, daran zweifelt hier niemand.
Diese Pflicht, meint auch Veteran Patrick, der drei Mal verwundet wurde, habe auch die Königin oft mitgenommen: „Manche Verletzungen sieht man eben nicht, aber sie tun lange weh.“
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