El-Gawhary: IS-Terror nicht militärisch bekämpfbar

Nahost-Experte fordert politische Lösungen durch regionale Mächte - Westen soll sich raushalten.

Um die kriegerischen Auseinandersetzungen im arabischen Raum beizulegen braucht es laut Nahost-Experte und ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary eine Entschärfung des Syrienkrieges sowie Lösungen politischer, nicht militärischer Natur, im arabischen Raum.

Für die Schlichtung seien regionale Mächte wie etwa die Türkei, Saudi Arabien oder den Iran gefragt, nicht aber den Westen, sagte El-Gawhary in einer Diskussion des Karl-Renner-Instituts am Freitagabend in Wien.

Die Terrormiliz IS ("Islamischer Staat") sei zum einen das Produkt des mittlerweile vier Jahre langen syrischen Bürgerkrieges. "Dieser Krieg hat viele Leute dazu gebracht zu glauben, dass der IS der Erlöser ist. Man muss sich überlegen, was diese Menschen erlebt haben, um solche Schlüsse zu ziehen", so der Journalist. Andererseits sei die prekäre Situation im Irak das Ergebnis einer "komplett verfehlten Besatzungspolitik" der USA. "Die irakische Armee wurde komplett gestrichen, gut ausgebildete Leute ohne Job auf die Straße gesetzt. Diese Offiziere kämpfen nun zum Teil mit dem IS." Dass die irakischen Sunniten jahrelang unterdrückt und außen vor gelassen wurden, sieht er zudem als Grund an, dass diese die Terrormiliz nun teilweise unterstützen.

Alternative zu Assad notwendig

Durch die ausweglose Situation im Syrienkrieg ist es laut El-Gawhary vermehrt zur Radikalisierung von Gruppen gekommen. "Die Golfstaaten haben schließlich jene Gruppierungen unterstützt, von denen sie dachten, dass sie ihnen nach dem Fall von Staatschef Bashar al-Assad hilfreich sein können", so der Experte. "Diese erzkonservativen Staaten sind einer der Hauptgründe dafür, warum der IS überhaupt erst entstanden ist und jetzt bombardieren sie deren Stellung. Das wird auf Dauer nicht gut gehen", meinte er. In Syrien müsse außerdem eine Alternative für Assad gefunden werden. "Das ist problematisch, denn viele, die ihn unterstützen, tun das nicht deshalb, weil sie ihn gut finden, sondern weil sie schlicht Angst vor dem haben, was sonst kommen mag", erklärte El-Gawhary.

Um die Dschihadisten zu schwächen müsse man ihnen auch erst "den sunnitischen Teppich unter den Füßen weg ziehen". Dazu brauche es aber politische, nicht militärische Lösungen. "Es hat noch nie funktioniert, mit militärischer Macht die Kräfteverhältnisse im Inneren eines Landes in seinem Sinn zu verändern", sagte El-Gawhary. Je mehr bombardiert und beschossen werde, desto eher würden sich die Kämpfer in die Guerilla-Technik zurückziehen und Anschläge verüben.

Der Schlüssel zur Beilegung der Konflikte liegt für El-Gawhary nicht im Einschreiten des Westens. "Wir haben eine Situation, in der regionale Mächte wie die Türkei, Saudi Arabien und der Iran viel wichtiger sind. Ohne sie kann man keine Politik machen. Wir müssen uns langsam an den Gedanken gewöhnen, dass der Westen hier nicht der Tonmeister ist." Das Aufstellen einer Einheitsregierung in Bagdad sei ebenfalls ein guter Schritt, aber: "Es geht nicht darum, wie viele sunnitische Minister im Kabinett sitzen, sondern darum, ganze Regionen, die vollkommen ausgeschlossen wurden, wieder mit einzubeziehen." Dass die USA im Kampf gegen den IS "moderate syrische Rebellen" rekrutieren wollen, hält er für ein zweifelhaftes Unterfangen: "Nach vier Jahren Syrienkrieg ist wohl wenig Moderates übrig geblieben."

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat eine weitere westliche Geisel hingerichtet. Die Jihad-Beobachtungsplattform Site berichtete am Freitag über ein Internetvideo, das die Enthauptung des Briten Alan Henning zeigen soll. Zugleich drohten die Extremisten darin mit der Ermordung eines ehemaligen US-Elitesoldaten, der sich in ihren Händen befindet. Laut US-Außenministerium dürfte das Video echt sein.

Der britische Premierminister David Cameron erklärte, die Ermordung Hennings zeige, "wie grausam und abscheulich diese Terroristen sind". Er kündigte an, Großbritannien werde alles tun, um die Mörder zur Rechenschaft zu ziehen. Das britische Außenministerium prüft die Authentizität des Videos.

Henning (Porträt siehe unten), ein ehemaliger Taxifahrer aus Salford bei Manchester im Alter von 47 Jahren, war seit Dezember 2013 in der Gefangenschaft der Miliz. Er hatte sich einem Hilfskonvoi für syrische Flüchtlinge angeschlossen und war dabei in die Hände der Terroristen gefallen.

IS-Extremisten hatten zuvor die beiden Amerikaner Jim Foley und Steven Sotloff sowie den britischen Entwicklungshelfer David Haines auf bestialische Weise getötet.

Obama: "Feiger Mord"

US-Präsident Barack Obama verurteilte die Ermordung Hennings. Er versprach, die Verantwortlichen für alle Geisel-Ermordungen würden zur Rechenschaft gezogen. Die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sprachen von einem "feigen Mord" an Henning.

Das am Freitag aufgetauchte Video ist nur eine Minute und elf Sekunden lang. In der Aufmachung folgt es seinen Vorgängern: Das Opfer kniet in orangener Häftlingskleidung auf dem Erdboden. Neben ihm ist ein in schwarz gekleideter, völlig vermummter IS-Kämpfer zu sehen. Henning muss ein vorbereitetes Statement vortragen. "Wegen der Entscheidung unseres Parlaments, den Islamischen Staat anzugreifen, werde nun ich, ein Mitglied der britischen Öffentlichkeit, den Preis für diese Entscheidung zahlen."

Der mutmaßliche Mörder spricht mit britischem Akzent und wendet sich direkt an Cameron. "Das Blut von David Haines war an deinen Händen, Cameron. Alan Henning wird ebenfalls geschlachtet, aber sein Blut klebt an den Händen des britischen Parlaments." Britische Kampfflugzeuge hatten Ende September erstmals IS-Ziele im Irak beschossen; dem voraus ging ein Beschluss des Londoner Unterhauses.

Appell der Ehefrau vergebens

Noch drei Tage vor der Veröffentlichung des jüngsten Enthauptungsvideos hatte Hennings Ehefrau Barbara in einer Videobotschaft an die Entführer appelliert, ihren Mann freizulassen. Er sei auch nach den Maßstäben der islamischen Scharia-Gesetzgebung unschuldig. Seine Familie brauche ihn.

"Meine Gedanken sind in dieser Nacht bei Alans Frau Barbara, ihren Kindern und allen, die ihn geliebt haben", teilte Cameron weiter mit. Henning sei nach Syrien gegangen, um Menschen in Not gleich welcher Glaubensrichtung zu helfen. Seine Ermordung zeige, dass die Verdorbenheit der IS-Terroristen keine Grenzen kenne.

Wie in vorausgegangenen Videos wird auch in dem neuen Machwerk eine weitere Geisel als mögliches neues Opfer vorgeführt. Das US-Außenministerium bestätigte, dass es sich dabei um einen US-Bürger handelt. Um ihn zurück zu seiner Familie zu bringen, würden die USA alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen - militärisch, diplomatisch, rechtlich und geheimdienstlich, teilte Ministeriumssprecherin Caitlin Hayden weiter mit.

Geisel ehemaliger US-Elitesoldat

Nach Angaben der Washington Post handelt es sich bei der Geisel um einen ehemaligen US-Elitesoldaten. Der 26-Jährige war Mitglied des 75. Ranger Regiments. Der Infanterist habe mit seiner Einheit von April bis Juli 2007 im Irak gedient.

Nach seinem ehrenhaften Ausscheiden aus dem Armeedienst aus medizinischen Gründen habe der Mann damit begonnen, Politikwissenschaft zu studieren, berichtete das Blatt weiter. Während seiner Semesterferien sei er in den Nahen Osten gereist. Von der türkischen Grenzstadt Gaziantep aus habe er später unter anderem Erste-Hilfe-Lieferungen nach Syrien transportiert und in humanitären Projekten mitgearbeitet.

Der aus Indianapolis (Indiana) stammende Mann wurde nach Angaben seiner Eltern am 1. Oktober 2013 während einer Hilfsmission in Dair as-Saur im Osten Syriens entführt. Wie der Sender CNN berichtete, trat die Geisel während ihrer Gefangenschaft zum Islam über und nennt sich Abdul-Rahman.

Die USA gehen bis dato als einziger Staat sowohl im Irak als auch in Syrien gegen die Dschihadisten vor. In Syrien griffen Kampfflugzeuge der US-geführten internationalen Koalition am Freitagabend erneut Stellungen der Miliz bei Kobane (Ayn al-Arab) an. Der IS versucht seit Tagen, die von Kurden verteidigte Stadt im Norden des Landes einzunehmen.

Mit Spannung wird beobachtet, ob eventuell die türkischen Streitkräfte auf die Hilferufe der eingekesselten Verteidiger von Kobane reagieren. Das Parlament in Ankara hatte am Donnerstagabend Militäreinsätze in Syrien und im Irak gebilligt.

Das syrische Regime warnte das Nachbarland vor einem Eingreifen. Jede türkische Intervention auf syrischem Boden werde als "Verletzung der Souveränität und Akt der Aggression" angesehen, erklärte das Außenministerium in Damaskus.

Kanada steht unterdessen vor einer Beteiligung an der internationalen Koalition gegen den IS. Das Parlament entscheidet am Montag darüber. Am Freitag hatte Australien seine Teilnahme beschlossen.

El-Gawhary: IS-Terror nicht militärisch bekämpfbar
A Syrian Kurdish refugee woman with her daughter waits for transportation after crossing into Turkey from the Syrian border town Kobani, near the southeastern Turkish town of Suruc in Sanliurfa province October 2, 2014. More than 150,000 refugees have fled Kobani over the past two weeks alone, with a steady exodus continuing. Officials from Turkey's AFAD disaster management agency said some 4,000 crossed on Wednesday, and a similar figure the day before. REUTERS/Murad Sezer (TURKEY - Tags: POLITICS SOCIETY IMMIGRATION CIVIL UNREST CONFLICT TPX IMAGES OF THE DAY)

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