Herrn Schulz’ Gespür für Aufmerksamkeit
Seine Erklärung am Tag danach war einwandfrei Marke Schulz: "Ich kann natürlich nicht nur die Dinge sagen, die allen gefallen. Ich muss auch die konfliktträchtigen Dinge vortragen."
So gelassen das Martin Schulz im Nachhinein auch erklärt, so empört waren einige Abgeordnete im Parlament in Jerusalem am Mittwoch über das, was der Präsident des EU-Parlaments gesagt hatte. Es war eine Israel-freundliche Rede, doch kam Schulz eben nicht ganz ohne Kritik an der israelischen Regierung aus: "Die Palästinenser haben genauso wie Israelis ein Recht auf Selbstbestimmung und Gerechtigkeit", war einer der Sätze, die für Wirbel sorgten. Ein anderer: "Wie kann es sein, dass Israelis 70 Liter Wasser am Tag benutzen dürfen und Palästinenser nur 17?"
Schon davor hatte er im Zuge seiner aktuellen Israel-Reise gegenüber Journalisten die "bisweilen übergroße Empfindlichkeit in Israel gegenüber Kritik" beklagt.
Ein Freund klarer Worte
Nun ist Schulz über jeden Verdacht erhaben, Feind Israels oder Antisemit zu sein. Wie also kommt es dann zu einem solchen Eklat? "Passieren" ihm solche Sager – oder will er gezielt provozieren? Die wahrscheinlichste Antwort lautet: Weder noch.
Vielmehr dürfte es daran liegen, dass Schulz seit jeher ein Verfechter der offenen inhaltlichen Kritik ist – und nicht der Diplomatie des Lieber-nichts-Sagens.
Schulz weiß, was und wo er es sagen muss, um gehört zu werden. Beispiele dafür gibt es genug.
Während die EU-Innenminister nach den Flüchtlingstragödien im Mittelmeer überlegten, wie die Grenzen noch dichter gemacht werden können, sagte Schulz: "Europa muss endlich anerkennen, dass es ein Einwanderungskontinent ist."
Während die EU-Finanzminister versicherten, die Euro-Staaten würden an Griechenland-Hilfspaketen sogar noch etwas verdienen, sagte Schulz: "Die EU ist eine Transferunion, das müssen die Menschen akzeptieren."
Der Streit mit Berlusconi
Auf diese Weise kam es auch vor über zehn Jahren zu jenem Vorfall, den in Brüssel viele für den Grundstein von Schulz’ Karriere halten, die nach der EU-Wahl an der Spitze der EU-Kommission gipfeln könnte: Schulz stellte 2003 im EU-Parlament eine Reihe kritischer Fragen an Silvio Berlusconi, der als italienischer Regierungschef gerade den rotierenden EU-Vorsitz übernommen hatte. Dabei sprach Schulz aus, was sich viele nur dachten: Es gebe einen "Virus der Interessenskonflikte", weil Berlusconi auch Medien-Mogul sei. Irgendwann platzte diesem der Kragen und er erwiderte Schulz, dass in Italien ein Film über die Konzentrationslager der Nationalsozialisten gedreht werde: "Ich schlage Sie für die Rolle des Lagerchefs vor."
Schulz war mit einem Schlag EU-weit bekannt. Und darin bestätigt, dass sich offene Kritik auszahlt – auch bzw. gerade, wenn sie erregt.
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