"Ein Atomdeal, der die Welt sicherer machen wird"
Im bis auf den letzten Platz des voll belegten großen Saals des Wiener Austria Centers riss es Hunderte Journalisten von den Sitzen, als die sichtlich müden Chefverhandler auf der Bühne erschienen. Eine Gelegenheit für ein Gruppenfoto sollte es sein, für die Außenminister des Iran, der USA, Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens, Chinas und Russlands – doch es wurde auch tosender Applaus.
Anerkennung für einen zuletzt fast dreiwöchigen Verhandlungsmarathon, dessen Ergebnis gestern alle Beteiligten einhellig als "historisch" bezeichneten: Das internationale Atomabkommen mit dem Iran ist vollendet.
Fast zwei Jahre lang war insgesamt verhandelt worden. Immer wieder standen die Gespräche auf der Kippe – mit der Gefahr eines nuklear aufrüstenden Iran. Gestern Mittag, nach einer letzten durchverhandelten Nacht, präsentierten US-Außenminister John Kerry, sein iranischer Amtskollege Javad Zarif und EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini schließlich die groben Umrisse des Deals. "Was wir hier heute vorstellen, ist nicht nur ein Deal", versicherte Mogherini, "es ist ein guter Deal, und zwar für alle Seiten."
Ziel erreicht
Ziel des mit großen Mühen errungenen Abkommens ist es, wie es der deutsche Außenminister Steinmeier gestern formulierte, "dem Iran nachprüfbar den Griff zur Atombombe zu versagen". Und dieses Ziel, so der deutsche Chefdiplomat, "ist nun gewährleistet".
Auf den 109 Textseiten des Abkommens wird detailliert aufgelistet, welche Auflagen der Iran zu erfüllen hat (siehe auch Grafik). So etwa muss das Regime in Teheran 95 Prozent seines angereicherten Urans vernichten und die Zahl seiner Zentrifugen von derzeit 19.000 auf ein Drittel davon reduzieren. Zudem werden umfassende Kontrollen durch die Internationale Atomenergieorganisation fixiert – all das mit dem Ziel, im Iran den Bau von Atomwaffen unmöglich zu machen.
Umsetzung
"Jetzt kommt es auf die Umsetzung des Abkommens an", lobte US-Außenminister Kerry den Deal. "Aber wenn es einmal geschehen ist, dann ist der gesamte Nuklear-Kreislauf unterbrochen, also von der Uran-Mine bis zur Anreicherung. Und dann würde es nicht, wie jetzt, nur ein Jahr dauern, bis der Iran eine Bombe herstellen könnte, sondern zehn Jahre." Derzeit habe das Regime in Teheran laut Kerry "genug Material für zehn bis zwölf Bomben".
Nach seinem Fahrradsturz und Beinbruch noch immer angeschlagen und auf Krücken humpelnd, scherzte der US-Außenminister: "Heute ist ein historischer Tag – auch weil ich zum ersten Mal seit sechs Wochen wieder richtige Schuhe anhabe." Um sogleich ernst zu werden: "Dieses Abkommen wird die Welt sicherer machen."
Eine Ansicht, die auch US-Präsident Barack Obama teilt. Bereits um sieben Uhr Früh Ortszeit lobte der Herr des Weißen Hauses gestern in einer TV-Ansprache das von ihm massiv forcierte Abkommen: Für den Iran sei damit jeder Pfad zur Atombombe abgeschnitten.
Feindlicher Kongress
Weil aber diese Annäherung an den Iran als ein großer außenpolitischer Erfolg Obamas gilt, könnte ihm der feindlich gesinnte mehrheitlich republikanische Kongress noch einen Strich durch die Rechnung machen. Binnen 60 Tagen müssen Senat und Repräsentantenhaus abstimmen, Obama aber würde ein allfälliges "Nein" des Kongresses mit einem Veto überstimmen, wie er gestern ankündigte.
Ende der Sanktionen
Die Zuckerseite des Deals für den Iran lautet indessen: Aufhebung der schmerzhaften Wirtschaftssanktionen. Diese könnten gegen Ende des Jahres oder Anfang 2016 fallen, wenn der Iran nachweislich die ersten Schritte des Abkommens umgesetzt hat.
Ursprünglich hatte die Führung in Teheran darauf bestanden, dass die UN-Sanktionen am Tag der Unterschrift unter das Abkommen fallen müssen. Damit aber hatten sich die iranischen Verhandler gegenüber den USA nicht durchsetzen können. Und das internationale Waffenembargo gegenüber dem Iran bleibt überhaupt aufrecht – zunächst für fünf Jahre, bei Raketen sogar acht Jahre lang.
Und noch in einem weiteren, bis zuletzt strittigen Punkt hat sich Washington als der Unnachgiebigere erwiesen: Die Wirtschaftssanktionen werden nicht ein für alle mal gestrichen, sondern automatisch binnen 65 Tagen wieder eingesetzt, sollte der Iran gegen Auflagen des Abkommens verstoßen.
Weiterführende Links
Nach der Einigung im Atomstreit sind am Dienstag Zig-Tausende Iraner nach dem Iftar – dem Fastenbrechen – jubelnd auf die Straßen der Hauptstadt Teheran geströmt. Nach Augenzeugenberichten feierten alleine auf der Parkway Autobahn Tausende hauptsächlich Jugendliche in ihren Autos mit iranischen Flaggen und lauter Pop-Musik.
Die Hupkonzerte waren ohrenbetäubend. Auf Bannern und mit Parolen dankten die Demonstranten besonders Präsident Hassan Rohani und Außenminister Mohammed Zarif: "Rohani, Zarif, danke für die Öffnung des Landes", war einer der Slogans, daneben gab es "Obama, Obama"-Sprechchöre und die Forderung nach einer Wiederaufnahme der Beziehungen zu den USA.
"Wir starten ein neues Kapitel der Hoffnung", hatte zuvor Zarif erklärt, und Rohani sagte in Teheran, das Abkommen öffne "neue Horizonte". Die Einigung zeige, dass "Gott die Gebete der Nation erhört hat".
Lob von Khamenei
Die Einigung auf ein Atomabkommen ist ein wichtiger Erfolg für den iranischen Präsidenten, stellt ihn aber auch vor neue Herausforderungen. Rohani war im Juni 2013 mit dem Versprechen zur Wahl angetreten, den jahrelangen Konflikt mit den Weltmächten zu beenden, um die Aufhebung der Sanktionen zu erreichen, die das Land in eine tiefe Wirtschaftskrise stürzen. Vor allem die Jugend des Landes hofft darauf. Nun, da ein Abkommen gelungen ist, erwartet die Bevölkerung aber konkrete Ergebnisse.
Die mit Spannung erwartete Reaktion des obersten iranischen Führers Ali Khamenei auf die in Wien erzielte Atomeinigung fiel positiv aus. "Ich bedanke mich und würdige die aufopferungsvollen Bemühungen des Atomteams", sagte der Ayatollah am Dienstag zu Präsident Rohani, es habe "das Beste für die iranische Nation" herausgeholt.
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