Eiertanz um Rede von Selenskij vor Knesset

Nach anfänglichem Zögern mit der nicht gerade überzeugenden Ausrede „Instandsetzungsarbeiten im Plenum“ wird der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij nun doch am Sonntag via Zoom vor Israels Parlament eine Rede halten. Selenskij sprach unter anderem bereits vor dem EU-Parlament, dem britischen Unterhaus sowie dem US-Kongress (sh. links). Doch die Rede des einzigen jüdischen Staatspräsidenten außerhalb Israels vor der Knesset weckt besondere Erwartungen – auch in Moskau.
Sofort nach Bekanntwerden des Termins forderte der russische Botschafter in Israel, Anatoly Viktorov, ein Gespräch mit dem Knesset-Vorsitzenden Mosche Levi. Am Mittwoch trafen einander beide. „Beide Seiten kamen überein, den Inhalt geheim zu halten“, hieß es lakonisch. Spekuliert wurde über eine mögliche „Gegenrede“ von Kremlchef Wladimir Putins. Dies wird in Israel aber von vielen abgelehnt, da zwischen Angegriffenem und Angreifer klar zu trennen sei.

Besonders kritisch wird gesehen, dass Russlands Machthaber den Nazi-Vorwurf an Kiew in diesen Konflikt einbrachte. Dies wird als Verharmlosung des Nazi-Terrors gesehen. Selbst wenn Selenskij das N-Wort unausgesprochen lassen wird – er wird von Panzern und Bomben berichten. Und er ist eben auch Jude.
Holocaust – und jetzt
„Er wird über den Holocaust reden“, weiß Olga Vasilevskaja-Smagljuk, jüdische Abgeordnete im ukrainischen Parlament, „und über die Lage in der Ukraine jetzt. Wobei eine Ähnlichkeit auffällt: Ukrainer werden getötet, weil sie Ukrainer sind.“
Für Israels Regierung ist der Auftritt Selenskijs nicht unheikel. Auf der einen Seite will man die Kontakte zu Moskau offen halten – um auch als Vermittler fungieren zu können. Andererseits kommt Selenskij als „neuer jüdischer Held“. So sah ihn diese Woche jedenfalls die angesehene US-Monatszeitschrift „The Atlantic“: Ein Jude, der es von der ihm in der Sowjetunion vorgegebenen Außenseiterrolle ganz nach oben geschafft hat.
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