Dritte Nacht mit Gewalt in Hamburg

Demonstranten im Dunst der Wasserwerfer
Erneut Einsatz von Wasserwerfen, Tränengas und Pfefferspray; Randalierer warfen Flaschen, Steine und Böller. Insgesamt 144 Festnahmen. Innenminister reagiert auf Kritik an Polizei.

Auch nach dem Ende des G-20-Gipfels ist es in Hamburg erneut zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. In der Nacht zum Sonntag setzte die Polizei Wasserwerfer, Pfefferspray und Tränengas ein, um Sitzblockaden im Schanzenviertel aufzulösen. Randalierer warfen Flaschen, Steine oder Böller und rannten vor den Einsatzkräften weg. Die Polizei meldete mehrere Festnahmen.

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Die Ergebnisse des G-20-Gipfels in Hamburg

Als sich die Lage am frühen Morgen in der Schanze wieder beruhigt, waren die Staatsleute - darunter US-Präsident Donald Trump, Lieblingsgegner und Erzfeind der G-20-Protestler - schon wieder zuhause. Trump dürfte von den schweren Krawallen in den drei Tagen in Hamburg nicht viel mitbekommen haben. Am Samstagabend bilanziert er auf Twitter: "Alle fühlten sich sicher, trotz der Anarchisten."

Auf der Straße wurde wieder Müll zusammengetragen und angezündet. Mehrere Vermummte warfen Flaschen auf Häuser, aus denen ihnen "Haut ab" entgegengerufen wurde. Schwer bewaffnete Spezialeinsatzkräfte der Polizei zogen zeitweise am Rande des Schanzenviertels auf, griffen aber nicht ins Geschehen ein. In der Nacht auf Samstag war es im Schanzenviertel zu schweren Krawallen und Plünderungen von Geschäften gekommen. Die Randalierer hatten zunächst mehrere Stunden lang freie Hand, bis die Polizei mit einem massiven Aufgebot samt Spezialeinsatzkräften einrückte.

Dritte Nacht mit Gewalt in Hamburg
A woman takes pictures as riot police uses water cannons against protesters during demonstrations at the G20 summit in Hamburg, Germany, July 9, 2017. REUTERS/Pawel Kopczynski

Innenminister verteidigt harte Polizeivorgehensweise

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere verteidigte die Vorgehensweise der Polizei. "Bei diesem Ausmaß an völlig enthemmter Gewalt, die nur darauf gerichtet ist, willkürlich möglichst große Schäden auch bei völlig unbeteiligten Bürgern zu verursachen, kann trotz aller Konsequenz und auch bei bester Vorbereitung nicht jede Ausschreitung erfolgreich sofort unterbunden werden", sagte er der "Bild am Sonntag". Man habe erst "robuste Kräfte heranführen" müssen.

Jetzt, in der dritten Nacht der gewalttätigen Proteste, griff die Polizei frühzeitig durch. "Unbeteiligte sollten sich unbedingt aus dem Bereich entfernen", warnte sie. Die Räumung der Straßen im Schanzenviertel wurde mit Angriffen auf Einsatzkräfte begründet. Zudem seien bei einer Sparkassen-Filiale Fenster zu Bruch gegangen. Der S-Bahn-Verkehr in der Innenstadt war erneut zeitweilig gestört, dann wurden alle Sperrungen aufgehoben.

Im Schanzenviertel hatten sich am Samstagabend wieder mehrere hundert Menschen versammelt. Die Polizei sprach von etwa 600 Personen, die sich auf dem Neuen Pferdemarkt und in der Straße Schulterblatt aufhielten, wo es am Vorabend zu den Krawallen gekommen war.

Dritte Nacht mit Gewalt in Hamburg
German police detain protester during a demonstration at the G20 summit in Hamburg, Germany, July 8, 2017. REUTERS/Hannibal Hanschke

Polizei packte 288 Leute ein

Die Polizei erklärte in der Nacht auf Sonntag, seit Beginn der Proteste gegen den G-20-Gipfel in Hamburg seien 144 Personen festgenommen und 144 weitere in Gewahrsam genommen worden.

In der Gefangensammelstelle in Hamburg-Harburg befanden sich nach Angaben der Rechtsanwältin Gabriele Heinecke am Samstagabend 290 Personen. Sie kritisierte, dass es massive Probleme gebe, ihnen die Nummer des anwaltlichen Notdienstes zu geben. "Stattdessen werden Telefonbücher hingelegt mit der Aufforderung, sich einen Anwalt herauszusuchen." Im Wesentlichen seien die Anträge auf Haftbefehle von den Gerichten zurückgewiesen worden, dafür sei Gewahrsam bis Sonntag zwischen 15.00 und 18.00 Uhr ausgesprochen worden, sagte sie.

Polizeigewerkschaft kritisiert Austragungsort und Bürgermeister

Die Diskussion um Hamburg als Austragungsort des G-20-Gipfels ging unterdessen weiter. "Aus unserer Sicht eine Fehlentscheidung, die von Anfang an umstritten war", erklärte die Gewerkschaft der Polizei Bayern am Samstagabend. Mit dem Ausmaß an Hass und Gewalt habe niemand gerechnet: "Unsere Einsatzkräfte, auch aus Bayern, mussten um Leib und Leben fürchten." Unter anderem de Maiziere hatte zuvor die Kritik an der Auswahl Hamburgs zurückgewiesen: "Es können nicht Demonstranten bestimmen, wohin die Bundeskanzlerin Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt einlädt."

Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel warnte, dass die Hamburger Krawalle dem Ansehen des Landes in der Welt schaden. "Deutschlands Bild in der internationalen Öffentlichkeit wird durch die Ereignisse in Hamburg schwer in Mitleidenschaft gezogen", schrieb Gabriel in einem Gastbeitrag in der "Bild am Sonntag". Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist am Sonntag nach Hamburg, um sich über die Lage in der Hansestadt zu informieren.

Wegen der Ausschreitungen beim G-20-Gipfel sieht sich der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. "Wenn er keinen Plan hat, wie er linke Gewalt künftig verhindern will, muss er seinen Hut nehmen", sagte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt dem Berliner Radiosender 105'5 Spreeradio. Diese Gewalt habe sich in zurückliegenden Jahren etablieren können, sagte Wendt. "Rot-Grün und Herr Scholz stellen die Schanze als hanseatische Folklore dar, aber das ist sie nicht", warnte der Gewerkschafter. Dort habe sich seit geraumer Zeit ein "rechtsfreier Raum entwickelt".

Scholz habe bei vielen Polizisten unfassbaren Zorn ausgelöst. Während draußen "Polizisten aus Hamburg um ihr Leben gekämpft haben, sitzt dieser Bürgermeister in aller Ruhe in der Elbphilharmonie und hört Musik. Das ist ein Skandal", sagte Wendt. "Er hat uns lächerlich gemacht, als wir vor Krawallen gewarnt haben, und hat das Ganze wie einen Hafengeburtstag hingestellt."

Rote Flora-Anwalt: "Warum nicht in Pöseldorf?"

Der Bürgermeister räumte am Samstagabend ein, dass er sein Sicherheitsversprechen an die Bürger nicht einhalten konnte. "Das ist sehr bedrückend, dass uns das nicht gelungen ist", sagte er in einem ARD-"Brennpunkt". Für den größten Polizeieinsatz in der Hamburger Nachkriegsgeschichte seien 20.000 Einsatzkräfte mit aller notwendigen Technik aus ganz Deutschland geholt worden. "Trotzdem ist es nicht gelungen zu verhindern, dass sehr brutale Gewalttäter an verschiedenen Stellen der Stadt zum Beispiel Autos anzünden und ähnliche Dinge tun."

Auf die Frage, ob da der Eindruck entstehe, der Staat sei ohnmächtig, sagte Scholz: "Dass die Frage aufkommt, finde ich völlig berechtigt." Aber gerade deshalb sei es ihm wichtig zu sagen, dass die Polizei alles getan habe, was sie konnte. Sie sei auch entsprechend ausgerüstet gewesen. Mit Blick auf das linksautonome Zentrum Rote Flora, deren Vertreter zu der Demonstration "G20 - Welcome to Hell" am Donnerstag aufgerufen hatten, sagte Scholz: "Wenn wir Straftaten nachweisen können, werden sie verfolgt."

In derselben Sendung sagte der Rote-Flora-Anwalt Andreas Beuth: "Wir als Autonome und ich als Sprecher der Autonomen haben gewisse Sympathien für solche Aktionen, aber bitte doch nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen. Also warum nicht irgendwie in (den reichen Hamburger Vierteln, Anm.) Pöseldorf oder Blankenese?"

Nach den schweren Krawallen beim Hamburger G-20-Gipfel fordern deutsche Politiker parteiübergreifend harte Strafen für Randalierer und eine Ausweitung der Ermittlungsmöglichkeiten. "Ich setze hier auf schnelle Ermittlungserfolge der Polizei und auf harte Strafen der Justiz", sagte Innenminister Thomas de Maiziere der "Bild am Sonntag".

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) forderte rasche Ermittlungen in ganz Europa durch ein Spezialistenteam. In Hamburg kam der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) durch Vorwürfe unter Druck, die von militanten G-20-Gegnern ausgehende Gefahr verharmlost zu haben.

Bei dem von Freitag bis Samstag dauernden Treffen der Staats- und Regierungschefs der 20 mächtigsten Industrie- und Schwellenländer war es zu beispiellosen Krawallen gekommen, die zum Teil noch bis in die Nacht zum Sonntag anhielten. Wie de Maiziere forderte auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil in der "Welt am Sonntag": "Gegen die Mordbrenner in Hamburg muss mit der vollen Härte des Gesetzes durchgegriffen werden." Gabriel sprach sich für europaweite Ermittlungen aus: "Wir brauchen jetzt eine schnelle europaweite Fahndungsgruppe nach den Straftätern", schrieb er in einem Namensbeitrag für "BamS".

Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lehnt trotz des Gewaltexzesses von Hamburg eine Auslagerung des G-20-Gipfels zu den Vereinten Nationen in New York ab. "Das ist mir zu einfach", sagte Steinmeier am Sonntag in Hamburg, wo er verletzte Polizisten im Krankenhaus besuchte und den Einsatzkräften für ihre Arbeit in den Gipfel-Tagen dankte. "Ich glaube, wir müssen uns selbst überlegen als Demokraten, ob wir uns wirklich von einigen Gewaltbereiten vorschreiben lassen, erstens ob solche Konferenzen stattfinden und zweitens wo sie stattfinden." Ein demokratisch gefestigtes Land wie Deutschland müsse auch das Selbstbewusstsein haben und derartige Konferenzen ausrichten.

Gabriel, SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht hatten zuvor für eine Verlegung künftiger G-20-Gipfel zu den Vereinten Nationen in New York plädiert.

Über die Ausschreitungen der vergangenen Tage äußerte sich Steinmeier fassungslos. "Ein solches Ausmaß an Gewalt haben wir auf Demonstrationen in den letzten Jahren in Deutschland nicht erlebt", sagte er. Er sei daher nach Hamburg gekommen, um sich bei den Einsatzkräften zu bedanken, die dieser Gewalt die Stirn geboten hätten. Bei den Zusammenstößen mit Autonomen waren in den vergangenen Tagen mehr als 200 Polizisten verletzt worden.

Zwischen Teilen der CDU und der SPD entbrannte ein Streit darüber, ob die Gefahr der Krawalle im Vorfeld verharmlost worden sei und ob die Gefahr aus dem linksextremen Spektrum bagatellisiert werde. Während de Maiziere die alleinige Verantwortung für die Ausschreitung bei dem bisher größten bundesdeutschen Polizeieinsatz allein bei den "Chaoten" sah, richtete die Hamburger CDU schwere Vorwürfe an Scholz. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Hamburger Rathaus, Andre Trepoll, forderte in der "BamS": "Scholz muss erklären, wie es zu dieser seiner Fehleinschätzung kam und welche Konsequenzen er daraus ziehen will. Auch die FDP in der Hansestadt forderte, der Erste Bürgermeister müsse die Konsequenzen der Ausschreitungen tragen.

SPD-Generalsekretär Heil verwahrte sich gegen die Vorwürfe: "Schuldzuweisungen aus parteipolitischem Kalkül sind widerlich und beleidigen alle Polizistinnen und Polizisten." Insbesondere wandte er sich gegen CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn, der der SPD die Verharmlosung linker Gewalt vorgeworfen hatte. Von CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte Heil, ihn zur Ordnung zu rufen. Unionsfraktionschef Volker Kauder verurteilte die Kritik aus den Reihen der Grünen und der Linkspartei an dem Polizeieinsatz. Diese könne er nur "schäbig" nennen, sagte er dem "Tagesspiegel am Sonntag". Demonstranten und Oppositions-Politiker hatten der Polizei bei manchen Einsätzen unverhältnismäßige Härte vorgeworfen.

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