Warum den Italienern Draghis Gehaltsverzicht nicht ganz geheuer ist
aus Mailand von Andrea Affaticati
„Ist Premier Mario Draghi überhaupt aus dieser Welt?“, fragen sich die Italiener. Er redet dem Volk zwar nicht nach dem Mund, aber wenn er spricht, versteht ihn das Volk. Er behandelt die Wähler wie mündige Bürger, was seitens italienischer Politiker eher selten vorkommt. Doch damit nicht genug.
Aus den Medien erfuhren die Italiener nun, dass Draghi für seinen jetzigen Job als Regierungschef keinen Cent verlangt. Als Premier stünden ihm 115.000 Euro brutto Jahreslohn zu (zum Vergleich: Österreichs Kanzler erhält einen Brutto-Jahreslohn von 316.652 Euro). Für die Italiener ein absolutes Novum.
Gibt es so etwas überhaupt, fragen sich viele? Immerhin vergeht fast kein Tag hierzulande, an dem nicht von irgendeinem Korruptionsfall berichtet wird, in den irgendein Politiker verwickelt ist.
An den schwarzen Kassen der Parteien, der Skandal nannte sich „Tangentopoli“ (Tangente steht für Bestechungsgeld), sind Anfang der 90er-Jahre die italienischen Parteien der Nachkriegszeit zugrunde gegangen. Damals wurden die Tangenti für die Partei kassiert.
Heute dienen sie meistens dem Eigennutzen der Politiker, wie einer der skandalträchtigsten Vorfälle der letzten Zeit beweist: Parlamentarier der Lega, der Fünf-Sterne-Bewegung und der Partei von Ex-Premier Matteo Renzi Italia Viva hatten beim ersten Lockdown den Antrag gestellt und 600 Euro Hilfsgelder kassiert, die für die besonders stark vom ersten Lockdown Getroffenen gedacht waren.
Freilich, man könnte sagen: Für Draghi ist der Gehaltsverzicht nicht besonders schmerzhaft, er hat ja Geld. Seiner jüngsten Steuererklärung entnimmt man, dass seine Einnahmen 2019 rund 581.700 Euro betrugen. Weiter besitzt Draghi zehn Immobilien und sechs Grundstücke.
Die Italiener finden seine Geste also lobenswert, doch ganz geheuer ist ihnen Draghis Bodenständigkeit noch nicht wirklich.
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