Der Entschluss von Staatspräsident Sergio Mattarella, Draghi nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen der ehemaligen Koalitionspartner mit einem Regierungsmandat zu beauftragen, überraschte auch einen Großteil der politischen Kommentatoren. Zwar war sein Name in den vergangenen Wochen immer wieder als möglicher Nachfolger von Giuseppe Conte ins Spiel gebracht worden, doch gerade deswegen meinten viele, er käme nicht mehr in Frage. Wie lange Draghi gebraucht hat, um Mattarellas Aufforderung zu folgen, ist nicht belegt. Bereits vorigen Sommer, beim alljährlichen Treffen des Katholikenverbands in Rimini, hielt er eine Rede, die einem Regierungsprogramm gleich kam.
Gesellschaft und Wirtschaft wieder auf die Beine bringen
In dieser setzte er klare Richtlinien, wie man Gesellschaft und Wirtschaft wieder auf die Beine bringen sollte. Er sprach von guten und schlechten Schulden, mahnte, Hilfsgelder nicht mit dem Gießkannenprinzip zu verteilen. Mehr oder weniger dieselben Stichworte verkündete er auch am Mittwoch: „Die Pandemie bekämpfen, die Impfkampagne durchziehen, Antworten auf die Alltagsprobleme der Bürger finden, den Wirtschaftsmotor wieder ankurbeln, sind die Herausforderungen, mit denen wir uns konfrontieren werden“ hob er hervor. „Ich verstehe zwar die Erleichterung im Land“, sagt der Politologe Paolo Nano im Gespräch mit dem KURIER, möchte aber auch davor warnen, ihn „gleich zum Retter der Nation zu krönen“.
Im Moment hat Draghi keine Mehrheit im Parlament. Die linken Demokraten sind bereit, ihn zu unterstützen, ein Teil der Fünf-Sterne-Bewegung weigert sich stattdessen. In der Opposition haben die Rechten von Fratelli d’Italia schon ihr Veto gegen ihn eingelegt, die Lega hält sich noch bedeckt, nur Silvio Berlusconi hat sich zu einer Zusammenarbeit bereit erklärt. Dass es Draghi gelingen wird, eine Regierung, eventuell mit einigen Politikern, aber zum Großteil mit Experten zu bilden, schließt Nano nicht aus: „Auch wird er für die Impfkampagne, den Recovery-Plan die nötigen Mehrheiten finden. Wenn es aber dann um politische Themen geht, zum Beispiel um die Justizreform oder die Migranten, wird es für seine Regierung eine gefährliche Gratwanderung werden.“
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