Doppelanschlag in Kabul zielte auf Journalisten ab

Attentäter war als Reporter getarnt, neun Journalisten unter Opfern. Elf Kinder bei Selbstmordanschlag im Süden Afghanistan getötet.

Zwei Selbstmordattentäter haben in Kabul am Montag mindestens 25 Menschen in den Tod gerissen, darunter auch mehrere Journalisten. 49 weitere Menschen wurden bei dem Doppelanschlag in der afghanischen Hauptstadt verletzt, wie das Innenministerium mitteilte. Zu der Tat bekannte sich die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS). Zwei weitere Anschläge ereigneten sich im Süden und Osten Afghanistans.

Die beiden Anschläge in der Hauptstadt wurden laut Behördenangaben kurz hintereinander während des morgendlichen Berufsverkehrs im Viertel Shashdarak verübt. Der erste Anschlag ereignete sich kurz vor 8.00 Uhr (Ortszeit) in der Nähe des Sitzes des Geheimdienstes NDS. Ein Selbstmordattentäter auf einem Motorrad habe die erste Detonation an einer Kontrollstelle nahe des Geheimdienstquartiers ausgelöst, sagte Polizeisprecher Stanakzay. Als Journalisten zum Anschlagsort eilten, sprengte sich ein zweiter Selbstmordattentäter in die Luft.

"Attentäter hat sich als Journalist getarnt"

"Der Attentäter hat sich als Journalist getarnt und in der Menge in die Luft gesprengt", sagte der Polizeisprecher Hashmat Stanakzay. Bei den Opfern handle es sich um Zivilisten, berichteten Medien unter Berufung auf Sicherheitskräfte. In dem Stadtviertel befinden sich auch die US-Botschaft und das NATO-Hauptquartier.

Nach Angaben aus Sicherheitskreisen hatte der Attentäter zur Tarnung eine Kamera dabei. Laut "Reporter ohne Grenzen" (ROG) sind mindestens neun Journalisten ums Leben gekommen. Sechs weitere seien schwer verletzt worden, teilte die Organisation am Montag mit. Alle seien unter 30 Jahre alt.

AFP-Cheffotograf

Unter ihnen ist der Cheffotograf der Nachrichtenagentur AFP in Kabul, Marai. Die anderen arbeiteten für afghanische Medien wie die Fernsehsender 1TV, Tolo News und Jahan TV.

Ein Soldat mit Helm spricht mit einer Person in einer Lederjacke in einem Hubschrauber.

Shah Marai war seit 1996 für die AFP tätig. Er fing als Fahrer an und fotografierte zunächst nur nebenbei. Er berichtete unter anderem über die Herrschaft der radikalislamischen Taliban in Afghanistan und den Einmarsch der US-Truppen im Jahr 2001. Ab 2002 arbeitete er hauptberuflich als Fotograf für AFP und stieg im Kabuler Büro bis zum Cheffotografen auf. Marai hinterlässt sechs Kinder, darunter eine neugeborene Tochter.

Afghanen im Fokus: Fotos von Shah Marai (2001-2017)

Eine Gruppe von Männern sitzt mit nacktem Oberkörper im Dunkeln und hält Ketten in den Händen.

Afghanische Männer begehen das muslimische Ashura-Fest und halten Ketten für eine rituelle Selbstgeißelung in ihren Händen. (Kabul, 15. Jänner 2008)

Männer, vermutlich Taliban-Kämpfer, sitzen auf einem Panzerfahrzeug inmitten einer Menschenmenge.

Kräfte der Northern Alliance beim Einmarsch in Kabul, als das Taliban-Regime zerfällt. (13. November 2001)

 

Eine Frau in traditioneller Kleidung geht an den Buddha-Statuen von Bamiyan vorbei.

Eine afghanische Frau in der Stadt Bamiyan, an der Stelle, an der einst antike Buddha-Statuen standen. (1. August 2010)

 

Eine Gruppe Soldaten rennt durch roten Rauch.

Afghanische Soldaten der während einer Abschluss-Feier Ghazi Militär-Trainingszentrum in Kabul. (31. März 2011)

Soldaten feuern nachts mit einem Mörser eine Granate ab.

Französische Soldaten bei einer Übung in Kabul (12. März 2012)

Eine Gruppe von Frauen in Burkas, zwischen ihnen ein kleines Kind.

Afghanische Frauen auf einer Wahlkampf-Veranstaltung im Rahmen der Präsidentenwahlen (18. Februar 2014)

Kinder spielen bei Sonnenuntergang im Freien Fußball.

Afghanische Kinder spielen Fußball. (Kabul, 23. November 2014)

 

Ein Mann trägt ein Kind auf einer staubigen Straße in einem Dorf.

Ein afghanischer Vater und seine Tochter beobachten die aufziehenden Regenwolken (Kabul, 19. April 2015)

Ein Junge trägt ein braunes Schaf auf seinen Schultern.

Ein afghanische Junge trägt ein Schaf auf seinen Schultern, vor dem Eid Al Adha-Festival. (Kabul, 22. September 2015)

Einem Kind werden Tropfen in den Mund geträufelt.

Ein afghanisches Kind während einer Polio-Impf-Aktion in Kabul (28. Februar 2017)

 

Eine Gruppe von Männern beteiligt sich an einer religiösen Zeremonie mit Ketten und Klingen.

Afghanische Männer begehen das muslimische Ashura-Fest und halten Ketten für eine rituelle Selbstgeißelung in ihren Händen. (Kabul, 15. Jänner 2008)

"Ich habe mir das Fotografieren selbst beigebracht, darum versuche ich mich ständig zu verbessern", schrieb Marai 2015 über sich selbst. "Jetzt erscheinen meine Fotos auf der ganzen Welt."

AFP-Informationsdirektorin Michele Leridon äußerte sich bestürzt über Marais Tod, der seit Jahren über die Tragödie in seinem Land berichtet habe. Sie würdigte Marais "außergewöhnliche Kraft", seinen Mut und seine Großzügigkeit. Er habe mit Feingefühl und Professionalität über oftmals "traumatische und schreckliche Ereignisse" berichtet. Sein Tod sei ein "verheerender Schlag" für die mutigen Kollegen im Kabuler Büro und die gesamte Agentur.

Auch afghanische Behördenvertreter und Journalisten reagierten mit Trauer und Bestürzung. "Nein, wir können Marai nicht verlieren, ich bin am Boden zerstört", schrieb der ehemalige Sprecher des Innenministeriums, Sedik Sedikki, im Kurzbotschaftendienst Twitter.

"Gefährlichstes Land für Journalisten"

"Dieser Vorfall zeigt, dass Afghanistan, wo es häufig zu Gewalt gegen Reporter und Tötungen von Reportern kommt, das gefährlichste Land für Journalisten ist", sagte der AJSC-Vorsitzende Najib Sharifi der Deutschen Presse-Agentur. Derartige Vorfälle seien eine große Bedrohung für die Meinungs- und Pressefreiheit.

Medienaktivisten der Nicht-Regierungsorganisation Nai zufolge wurden 2017 in Afghanistan 21 Journalisten getötet. Nach Angaben von "Reporter ohne Grenzen" (ROG) verloren 2017 neun Journalisten in Zusammenhang mit ihrer Arbeit ihr Leben. Am gefährlichsten für Journalisten ist es laut ROG in Syrien, gefolgt von Mexiko und Afghanistan auf Platz drei.

Die USA verurteilten den Doppelanschlag in der afghanischen Hauptstadt aufs Schärfste und sprachen den Angehörigen, Freunden und Kollegen der Opfer ihr Mitgefühl aus. In einer Mitteilung auf der Internetseite der Botschaft würdigte die US-Regierung vor allem die "tapferen Journalisten", die bei ihrer Arbeit ums Leben kamen. "Wo die Medien in Gefahr sind, sind alle anderen Menschenrechte umso mehr bedroht", hieß es.

Der afghanische IS-Ableger Provinz Khorasan erklärte in einer Mitteilung im Messengerdienst Telegram, der Anschlag habe sich gegen Sicherheitskräfte und Journalisten gerichtet, die nach dem ersten Anschlag am Anschlagsort zusammengeströmt seien. Dort habe sie ein weiterer Attentäter "mit seiner Sprengstoffweste überrascht".

Der letzte schwere Anschlag hatte Kabul in der vergangenen Woche erschüttert, als sich ein Selbstmordattentäter vor einem Zentrum zur Registrierung von Wählern in die Luft gesprengt und 60 Menschen in den Tod gerissen hatte. Auch zu diesem Anschlag bekannte sich der IS.

Elf Kinder in den Tod gerissen

Zwei weitere Anschläge ereigneten sich im Süden und Osten Afghanistans. Bei einem Anschlag nahe einer Moschee in der Provinz Kandahar tötete ein Selbstmordattentäter mindestens elf Kinder und 16 weitere Menschen verletzt, teilten örtliche Behörden mit. Unter den Verletzten im Distrikt Daman seien neun Zivilisten, zwei Polizisten sowie fünf rumänische Soldaten, hieß es.

In der Provinz Nangarhar wurde bei einem Anschlag der Chef der Kriminalpolizei des Distrikts Behsud getötet. Der Vize-Bezirksgouverneur sowie drei weitere Polizisten seien verletzt worden, berichtete der Sender Tolo News unter Berufung auf Behörden. Zuerst war von fünf Verletzten die Rede gewesen.

Die radikalislamischen Taliban äußerten sich bisher nicht zu den beiden Anschlägen. Im Frühjahr nehmen die Angriffe der Taliban in der Regel aufgrund des besseren Wetters zu.

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