Wut statt Vision: Trumps Rede an die Nation zeigt seine Angst vor dem Absturz
US-Präsident Donald Trump hält seine Ansprache an die Nation aus dem Diplomatischen Empfangszimmer des Weißen Hauses in Washington, D.C.
Zusammenfassung
- Trump hält wütende Rede angesichts sinkender Umfragewerte und drohender Niederlage bei den Zwischenwahlen.
- Er wiederholt umstrittene Behauptungen zu Wirtschaft, Migration und eigenen Erfolgen, ohne Details zu liefern.
- Kritik an Biden und unrealistische Versprechen prägen die Ansprache, während konkrete politische Ausblicke fehlen.
Einjähriges hat er erst Ende Jänner. Aber die Zeit drängt. In weniger als zwölf Monaten können die Zwischenwahlen im US-Kongress Donald Trump bei Verlust republikanischer Mehrheiten zur „lahmen Ente” in der zweiten Hälfte seiner 2028 endenden Amtszeit machen.
Weil sämtliche Umfragen die rapide schwindende Popularität des US-Präsidenten dokumentieren - zwei Drittel der Amerikaner halten seine Wirtschaftspolitik inzwischen für mangelhaft, 70 % halten die Lebenshaltungskosten insgesamt für zu hoch - hat der 79-Jährige am Mittwochabend versucht, das Ruder herumzureißen. Mit einer Wutrede.
"Chaos geerbt"
In einer nur 18 Minuten langen TV-Ansprache an die Nation, die an ein im Sekundentakt feuerndes Maschinengewehr erinnerte, redete Trump gegen das weit verbreitete Sentiment an, dass er seine Wahlversprechen in puncto Ökonomie nicht gehalten hat.
Fluchtpunkt der Ansprache, in der Trump durchweg ungehalten, getrieben, ja wütend wirkte: “Guten Abend, Amerika. Vor elf Monaten habe ich ein Chaos geerbt, und ich bin dabei, es zu beseitigen.„
In der Folgezeit rasselte der 47. Amtsinhaber kurz vor der Weihnachtspause das herunter, was er für seine Errungenschaften hält. Dabei erging er sich wie schon zuvor in irreführenden Behauptungen und mathematischen Unmöglichkeiten. Er prahlte mit Gewinnen und historisch beispiellosen Erfolgen gerade in wirtschaftlicher Hinsicht, von denen die überwältigende Mehrheit der Amerikaner unmissverständlich seit Monaten sagt, dass sie bei ihnen nicht angekommen sind.
In Blitz-Analysen erklärten US-Kommentatoren, Trumps Wutrede habe sinngemäß eine einzige Botschaft ans Volk gehabt. “Verdammt, kapiert doch endlich, dass heute alles tausend Mal besser ist als unter Joe Biden."
Trump nahm erneut für sich in Anspruch, Investitionen in Höhe von 18 Billionen Dollar für Amerika gesichert zu haben. Die Zahl ist fast doppelt so hoch wie die, die das Weiße Haus ermittelt hat - rund neun Billionen.
Ein Großteil stammt aus Investitionsversprechen ausländischer Staaten, die von Experten als völlig unrealistisch bezeichnet werden. So übersteigen etwa die Billionen-Dollar-Zusagen Katars und der Vereinigten Arabischen Emirate das gesamte jährliche Bruttoinlandsprodukt beider Scheich-Staaten.
Biden schuld an allem
Penetrant hämmert Trump erneut auf seinen Vorgänger Joe Biden in der Frage der Einwanderung ein. Er machte den Demokraten für 25 Millionen Illegale verantwortlich, die über die “offene” Südgrenze ins Land gekommen seien, darunter exakt „11.888 Mörder“. Keine unabhängig überprüfbare Statistik bestätigt diese Zahlen, betonten Analysten in Washington. Für Trump wichtiger: Seit sieben Monaten gebe es keinerlei illegale Grenzübertritte mehr.
Der vom Weißen Haus vorher angeteaste Ausblick auf die Regierungspolitik des kommenden Jahres blieb ebenso aus wie außenpolitische Weichenstellungen. Kein erschöpfendes Wort zu Venezuela. Kein Wort zu Russland/Ukraine.
Trump stellte pauschal lediglich in Aussicht, dass die Preise - Energie, Lebenshaltung, Medikamente - in 2026 an breiter Front weiter sinken würden. Außerdem dürften die Amerikaner mit den größten Steuerrückzahlungen aller Zeiten rechnen. Details? Keine.
Konkret wurde er nur in einem Punkt: In Anlehnung an das historische Gründungsjahr werde 1,4 Millionen Soldaten eine „Krieger-Dividende“ in Höhe von jeweils 1776 Dollar zugesprochen. „Die Schecks sind bereits unterwegs.“
Besagte Einmal-Zahlung soll aus den rund 200 Milliarden Dollar Strafzolleinnahmen kommen, die die USA seit Trumps Amtsantritt eingenommen haben. Vor einigen Tagen hatte Trump die Idee ventiliert, allen Bürgern außer den Reichen jeweils 2000 Dollar zu schenken. Käme es so, ginge die Rechnung nicht mehr auf. Die Versprechen übersteigen die Einnahmen.
Zu den Absonderlichkeiten der Rede gehörte die Behauptung Trumps, durch seine Intervention seien die Arzneimittelpreise um 400, 500 oder sogar 600 Prozent gesenkt worden. „Das ist alternative Mathematik“, sagte ein demokratischer Abgeordneter. Schon eine Preissenkung um 100 Prozent würde Kosten von 0 Dollar bedeuten.
Trump verband seine Argumentation, dass die US-Wirtschaft die „heißeste” auf der ganzen Welt sei, mit seiner Kampagne zur Massenabschiebung. Er behauptete, dass die Ausweisung von Einwanderern “mehr Wohnraum und mehr Arbeitsplätze für Amerikaner„ schaffe. Der am Dienstag veröffentlichte Arbeitsmarktbericht weist dagegen mit 4,6 % die höchste Arbeitslosenquote seit Herbst 2021 aus.
Hastiger und wütender Tonfall
Abermals streute Trump das Märchen von den extrem gefallenen Benzinpreisen, die im Schnitt landesweit unter 2,50 Dollar pro Gallone lägen; in vielen Bundesstaaten sogar unter zwei Dollar. Nach Angaben der staatlichen Statistikbehörde lag der durchschnittliche Benzinpreis in der Woche bis zum 15. Dezember bei 2,90 Dollar. In keinem Bundesstaat gab es danach Benzin stabil für unter zwei Dollar zu kaufen.
Trump stützte sich in seiner Rede auf bekannte Strategien. Er gab seinem bereits im Sommer 2024 de facto ausgeschiedenen Vorgänger die Schuld. Und er versprach unverbindlich weitere Entlastungen, wenn die Bürger nur weiter geduldig warten würden.
Neu war sein extrem hastiger und wütender Tonfall. Dahinter steht nicht nur der massive Druck, unter dem das Weiße Haus ausweislich aller Umfragen steht. Am Freitag wird die vom Kongress und mehreren Richtern erzwungene Freigabe der Akten über den Sexualstraftäter Jeffrey Epstein erwartet. Trump kommt, so sagt seine Stabschefin Susie Wiles, darin vor.
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