Die Unschuldigen von Guantanamo

Mindestens 60 Unschuldige sitzen im US-Gefängnis – weil kein Land sie aufnehmen will.

Unter normalen Umständen würden sie einander nie begegnen, und trotzdem haben sie viel gemeinsam. Sie waren vermutlich zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie machen Kunst, um geistig zu überleben. Und obwohl sie freigesprochen sind, stecken die zwei Männer seit einem Jahrzehnt im US-Gefängnis Guantanamo auf Kuba, ohne große Aussicht, von diesem Zipfel der Karibikinsel wegzukommen.

Während diese Woche die Anhörungen zur Vorbereitung eines Prozesses gegen Khalid Sheikh Mohammed und vier weitere mutmaßliche 9/11-Attentäter in einem Gerichtssaal der Militärbasis laufen, sitzen unweit davon Dutzende andere Häftlinge ohne Prozess und auch ohne Hoffnung auf Freiheit. 2002, als die US-Armee die Taliban in Afghanistan von der Macht bombte, kamen 779 Männer in das neu eröffnete Gefängnis auf Guantanamo. Das war der Höhepunkt. Nun sind noch 166 hier. 60 von ihnen wurde die Heimkehr erlaubt. Sie können aber nirgendwo hin.

Obaydullah, der wie viele Afghanen nur einen Vornamen hat, ist so ein Fall. Als er 2002 nach Guantanamo gebracht wurde, war er 19 oder 20 Jahre alt (seinen Geburtstag kennt er nicht). Zwei Tage vor seiner Festnahme kam seine Tochter zur Welt. Heute ist sie zehn Jahre alt.

Blut auf dem Rücksitz

Soldaten einer US-Spezialeinheit hatten Obaydullah in einem Dorf nahe der afghanischen Stadt Khost festgenommen. Bei sich hatte er ein Heft mit Zeichnungen zum Bombenbau. Landminen wurden in der Nähe seines Hauses gefunden und auf dem Rücksitz seines Autos war Blut. Obaydullah konnte das alles erklären: Das Heft stamme aus einer Taliban-Schule, die er 2001 gegen seinen Willen besuchen musste. Nach einigen Tagen sei er weggelaufen. Das Heft behielt er der leeren Seiten wegen. Die Minen hätten einem afghanischen kommunistischen Milizführer namens Ali Jan gehört. Der hatte in Obaydullahs Haus während der sowjetischen Besatzung gewohnt. Und das Blut im Auto sei das seiner Frau. Er hatte sie zur Geburt ins Krankenhaus gefahren. Wegen der vielen Checkpoints kam das Kind auf dem Rücksitz zur Welt.

2011 wurde die Anklage gegen Obaydallah fallen gelassen. Doch sein Land sei laut US-Regierung zu gefährlich; man könne ihn nicht nach Hause schicken. Nun schreibt er Gedichte. „Ich wohne am Ufer des großen Ozeans, aber immer in Ketten (...) Merkwürdige Vorwürfe haben mir die Liebe entzogen“, reimt er. „Er will optimistisch bleiben“, sagt Major Derek Poteet zum KURIER, einer von Obaydallahs Rechtsanwälten, die dem jungen Afghanen von der US-Regierung zur Verfügung gestellt wurden.

Seit 1997 ist Poteet Militäranwalt. Trotzdem wird er unsicher, wenn er von Obaydallah erzählt: „Ich bin sein Anwalt und sollte seine Rechtsfragen beantworten können. Viel zu oft ist meine Antwort aber: Ich weiß es nicht.“

Poteets Kollege Wells Dixon kann unter diesen Umständen für seinen Mandanten auch nicht mehr tun, als dessen Geschichte zu erzählen: Djamel Ameziane hätte nie nach Guantanamo kommen sollen, sagt der Anwalt. Jetzt versucht er selbst, ein Aufnahmeland für ihn zu finden, doch das sei schwer als Privatperson, sagt er im Gespräch mit dem KURIER.

Mit der Rückführung der Freigelassenen war eigentlich der US-Diplomat Daniel Fried betraut. Doch der hat seinen Job gewechselt, einen Nachfolger gibt es nicht.

Tellerwäscher in Wien

Die Unschuldigen von Guantanamo
Guantanamo
Der heute 46 Jahre alte Algerier Ameziane hat einen abenteuerlichen Weg hinter sich. In seiner Heimat sei er als Angehöriger der Berber verfolgt worden. 1992 flüchtete er aus dem Bürgerkrieg in Algerien nach Österreich. Dort begann er als Tellerwäscher in einem Wiener Restaurant, wurde dann Koch. Drei Jahre später wurde seine Arbeitsgenehmigung nicht verlängert, also suchte er um Asyl in Kanada an. Sein Antrag wurde aber abgewiesen.

Ameziane ging nach Afghanistan, ein Land, in dem er auch ohne Papiere leben konnte, so erklärt er. Mit der Flüchtlingswelle nach 9/11 und dem Sturz der Taliban kam er nach Pakistan, wurde dort aber bald für 5000 Dollar an die US-Truppen verkauft. Man zahlte damals gutes Kopfgeld für jeden Taliban. „So kamen auch viele andere Männer nach Guantanamo“, sagt Dixon. Mindestens zwei Mal war Ameziane zur Freilassung vorgesehen. Man fand aber kein Land, das ihn aufnahm. Nun malt er in der Zelle Bilder – mit Meer, Bergen, all jenen Dingen, die er nur im Kopf sehen kann. Er wisse, dass ihm die US-Regierung die Freiheit zugesprochen hat – doch Jahre später ist er immer noch in Guantanamo.

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