Die Überraschung heißt Netanyahu

Jubel im Likud-Lager: In der Zielgeraden holte Premier Benjamin Netanyahu auf und machte aus einer sicher scheinenden Niederlage einen möglichen Sieg.
Der schon abgeschlagene Ministerpräsident hat gute Chancen auf eine vierte Amtszeit.

Gäbe es keine Überraschung im israelischen Wahlergebnis, wäre es eine Überraschung. Und auch diesmal haben die Prognosen geirrt: Sie hatten in den letzten Tagen einen immer deutlicheren Sieg des Mitte-Links-Bündnisses von Herausforderer Isaac Herzog über Ministerpräsident Benjamin Netanyahus Likud vorausgesagt. Und dann wussten die Hochrechnungen am Dienstag Abend von einem Kopf-an-Kopf-Rennen: Likud und Mitte-Links-Bündnis wurden je 27 von 120 Mandaten zugeschrieben, eine Exit-Poll hatte sogar Netanyahu mit einem Mandat voran. "Das ist ein großer Sieg", twitterte Netanyahu.

Eine vierte Amtszeit Netanyahus ist damit wahrscheinlich. Für ihn dürfte es einfacher werden, eine Mehrheit im Parlament mit rechten und religiösen Parteien zu bilden. Möglich wäre auch eine Große Koalition aus Likud und Mitte-Links-Bündnis plus einer anderen Partei, aber sowohl Netanyahu als auch Herzog hatten das im Wahlkampf ausgeschlossen.

In Präsidentenhand

Die Überraschung heißt Netanyahu
Isaac Herzog (centre L) and Tzipi Livni (centre R), co-leaders of the center-left Zionist Union party, campaign outside a polling station in Modiin near Tel Aviv March 17, 2015. Prime Minister Benjamin Netanyahu faced a fight for his political survival on Tuesday as Israelis voted in an election that opinion polls predict the centre-left opposition could win. If he narrowly loses the vote, Netanyahu is probably still better placed than the opposition Zionist Union to cobble together a coalition, setting him on track to become Israel's longest-serving prime minister. REUTERS/Ronen Zvulun (ISRAEL - Tags: POLITICS ELECTIONS)
Wer den Auftrag zur Regierungsbildung bekommt, hängt von Präsident Reuven Rivlin ab. Nicht immer hat der Chef der größten Partei auch die größten Chancen, eine Koalition zu bilden. Kein Gesetz schreibt dem Präsidenten vor, die größere Partei den besseren Aussichten vorzuziehen. Oder umgekehrt.

Rivlin und Netanyahu kommen beide aus dem Likud – und können einander nicht ausstehen. Bibi versuchte, Ruvys Wahl zum Präsidenten zu verhindern. Rivlin hat angekündigt, den Kandidaten mit den meisten Stimmen zu beauftragen. Aber das war vor den Wahlen. Gestern nach den Wahlen sagte Rivlin, er sei überzeugt, dass nur eine Große Koalition "den raschen Zerfall der israelischen Demokratie und baldige Neuwahlen verhindern kann".

Die neue Mitte

Die großen Unbekannten dieser Wahl fanden sich nicht in den Blöcken Rechts oder Links. Die hängen seit Jahren in einem Unentschieden. Mal hier ein paar Stimmen mehr, mal da. In der "wahren Mitte" sitzt seit 2013 die Zukunftspartei von Yair Lapid. Ein Populist mit rosa Linksvergangenheit (und gestern rund 12 Mandaten). Mit dazu stößt in diesem Jahr die Kulanu-Partei von Mosche Kachalon (bis zehn Mandate). Auch er ist ein Ex-Partei"freund" Netanyahus, dem auch eine Allianz mit der Linken zugetraut wurde. Ihn jedenfalls dürfte Netanyahu brauchen, sollte er tastsächlich ein Rechts-Bündnis schmieden wollen.

Der Gleichstand von Likud und Mitte-Links macht es Kachlon und Lapid fast unmöglich, nach Links "überzulaufen". Daher: Trotz Bibi-Überdruss auch auf der Rechten scheint eine Rechtskoalition – wie von Netanjahu unter Ausschluss der Großen Koalition angekündigt – so gut wie unausweichlich.

Noch eine unberechenbare Kraft wird auch die Gemeinsame Arabische Liste sein, die mit prognostizierten 13 Mandaten am Dienstag tatsächlich zur drittstärksten Kraft wurde. Gebildet wurde sie aus technischen Gründen. Die vier kleinen arabischen Parteien mit Liberalen, Religiösen, Nationalisten und Kommunisten mussten sich vor der erhöhten Mindestklausel retten. Sie hat ein beeindruckendes Ergebnis eingefahren, nach Stand der Hochrechnungen gestern Abend reicht es aber nicht für eine Sperrminorität bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen.

Israels Koalitionsgezerre wird also wieder spannend und interessant. Letztlich liegt hier auch der Grund, warum alle Parteien sich in ihren Programmen bedeckt halten. Ohne klare Aussagen zu den wirklichen Problemen: Dass die Wohnungsnot gelöst werden muss, weiß jeder. Wo aber soll gebaut werden? In den besetzten Gebieten oder im Kernland, also durch Einsparung in der Siedlungspolitik? Wo versickern die hohen Steuern? Und warum sind die Preise höher als in allen anderen OECD-Staaten? Keine der Großparteien hat darauf glaubhafte Antworten gegeben.

Er hat’s also vermutlich doch noch einmal geschafft: Im Wahlkampf bereits abgeschrieben, mobilisierte Israels Premier Benjamin Netanyahu alles für eine vierte Amtszeit; bemühte die Atom-Gefahr aus dem Iran (samt Verprellung des Partners im amerikanischen Weißen Haus); schlug einer Nahostlösung alle Türen zu (mit der Ankündigung, dass es unter ihm nie einen Palästinenserstaat geben werde) – und holte den in allen Umfragen voranliegenden linken Herausforderer Isaac Herzog ein. Kopf an Kopf gingen beide ins Wahl-Ziel.

Dass es jetzt wohl keinen Wechsel vom konservativen Likud zu Mitte-Links geben wird, hat aber vermutlich nicht mit dem Wahlkampf-Motor „Außenfeind“ zu tun. Sondern damit, dass auch Herzog keine Antwort auf den Innenfeind in Israel hatte: die sozialen Sorgen, die Teuerung, die Wohnungsnot. An ihm sind alle Parteien gescheitert. Jetzt ist Regierungsbilden angesagt, auch in Israel mühsam genug. Wenn Netanyahu dabei tatsächlich ein viertes Mal erfolgreich ist, ist auch Porzellankitten angesagt. In den USA. Vor allem aber in Sachen Nahost-Lösung vor der Haustüre.

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