In Deutschland sei es schlicht an der Zeit für einen Wechsel gewesen. „Es war ja nicht so, dass die SPD gewonnen hätte, die Union hat verloren.“ In der Tat fuhr Scholz für seine Partei das drittschlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit ein. In Frankreich, wo 2022 gewählt wird, ist die Linke aktuell extrem schwach, in Großbritannien trotz der Probleme von Premier Johnson außer Tritt.
„Renationalisierung“
Europaweit haben die Sozialdemokratien seit den 1990er-Jahren massiv an Zuspruch verloren – selbst dort, wie sie derzeit am Ruder sind, wie etwa in Spanien. Dort konnte die PSOE 1989 unter Felipe Gonzalez noch die absolute Mehrheit holen, 30 Jahre später schaffte es Pedro Sanchez gerade auf 28 Prozent. Ähnlich drastisch fällt freilich auch der Niedergang der christlich-sozialen Parteien aus.
Ein fundamentales Problem der Sozialdemokraten ortet Anton Pelinka im „Fehlen einer transnationalen Strategie“, früher ein Markenkern der Roten. „Die „Sozialistische Internationale gibt es ja nicht einmal mehr auf dem Papier“, sagt der Politologe. Stattdessen sei generell eine „Renationalisierung“ eingetreten – wobei die Corona-Pandemie eigentlich das Gegenteil erfordern würde: „Das Virus macht ja nicht halt vor den Grenzen.“
In diesem Kontext verweist Pelinka auf die „goldenen Zeiten“ der europäischen Sozialdemokratien. „Wenn ich denke an die Achse Kreisky, Brandt, Palme – die wollten gemeinsam was für ihre Länder, aber auch für Europa. Und Tony Blair sowie Gerhard Schröder, die den ‚Dritten Weg‘ beziehungsweise die neue Mitte propagierten, blickten ebenfalls über den jeweiligen Tellerrand hinaus.“
Und heute? „Da macht jede sozialdemokratische Partei ihr eigenes nationales Projekt. Besonders erwähnenswert ist da die dänische Regierung, die in ihrer Migrationspolitik Positionen einnimmt, die früher typischerweise Rechtsrechten zugeschrieben wurden“, erläutert der Wissenschafter. Er ortet ähnliche Tendenzen auch in der österreichischen Sozialdemokratie und nennt die Renationalisierung hierzulande in übersteigerter Form eine „Burgenlandisierung“ – in Anspielung auf die Law-and-Order-Politik von Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, der damit immer wieder die Linie von Chefin Pamela Rendi-Wagner konterkariert.
Generell lässt Pelinka kein gutes Haar an der SPÖ: „Statt an morgen und übermorgen zu denken – bildlich gesprochen –, orientiert man sich Woche für Woche neu und schielt auf die Sonntagsfrage (Wen würden Sie wählen, wenn kommenden Sonntag Wahlen wären?). Da fehlt jede strategische Perspektive.“ Es ginge darum, zu analysieren, welche sozialen Gruppen wachsen und welche schrumpfen.
„Die Arbeiter von der FPÖ zurückholen zu wollen, also der Doskozil-Ansatz, wird schwierig, weil die schon seit Jörg Haider bei der FPÖ sind – und zweitens eine stets kleiner werdende Gruppe darstellen.“ Tatsächlich weisen Studien aus, dass in ganz Europa der Anteil der Arbeiter, der sozialdemokratisch wählt, vor 30 Jahren im Schnitt noch bei zwei Drittel lag und jetzt nur noch ein Drittel beträgt.
Ein wachsender Markt, so Pelinka, seien dagegen die gut und besser Gebildeten. Diese tendierten zwar liberalen, ökologischen und neuen, sprich frischen Gruppierungen zu – in Österreich den Grünen und Neos –, dennoch könnte die Sozialdemokratie hier Terrain (zurück-)gewinnen: „Es gibt immer weniger Stammwähler. Beim Aufstieg und Fall des Sebastian Kurz hat man gesehen, wie schnell sich das Blatt wenden kann.“ Bei Scholz und seiner SPD ebenso.
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